1A-Bürokratie
Blogpost von Markus Luthe zum Bürokratieabbau

Zum Jahreswechsel ist das Bürokratieentlastungsgesetz IV und mit ihm der Wegfall der besonderen Hotelmeldepflicht für inländische Gäste in Kraft getreten. Dies soll eine jährliche Entlastung der Branche in Höhe von 62 Mio. Euro bringen. Ein wirklicher Befreiungsschlag gegen überbordende Bürokratiekosten ist das angesichts immer neuer Berichtspflichten und Auflagen sicher nicht.
Das gesamte Entlastungsvolumen des BEG IV für die deutsche Wirtschaft wird mit knapp 1 Mrd. Euro taxiert. Gleichzeitig verursachen allein neue EU-Nachhaltigkeitsberichtspflichten bei eben diesen Unternehmen zusätzliche Bürokratiekosten in Höhe von 1,6 Mrd. Euro pro Jahr. Das aufkommende Sisyphos-Feeling bedrückt nicht nur den für's BEG IV zuständigen Bundesfinanzminister, auch ich habe nach dem tragischen Helden der griechischen Mythologie schon einen resignativen Grundsatz-Blogpost gewidmet.
Mein „Lackmustest“ auf Ernsthaftigkeit und Effizienz des Bürokratieabbaus ist und bleibt die sogenannte A1-Bescheinigung, die die Reisefreiheit in Europa massiv beschränkt und den Gemeinsamen Binnenmarkt ad absurdum führt. Diese „Bescheinigung über die Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit, die auf den/die Inhaber/in anzuwenden sind“ muss jeder in ein anderes europäische Land entsendete Geschäftsreisende zwingend bei sich führen, um dokumentieren zu können, welchem Sozialversicherungsrecht der Reisende unterliegt. Angestellte wie Selbständige müssen selbst für extrem kurze Dienstreisen zum Besuch einer Messe, eines Meetings, eines Workshops und selbst zum Betanken des Dienstfahrzeugs jenseits der deutschen Grenze eine solche A1-Bescheinigung bei sich führen. Ein absurderes Bürokratiebeispiel lässt sich wohl kaum finden.
Sowohl die Europäische Kommission (seit 2019), als auch die deutsche Bundesregierung (siehe Ampel-Koalitionsvertrag von 2021, Seite 32) hatten sich die Abschaffung der A1-Bescheinigung erklärtermaßen zum Ziel gesetzt. Passiert ist seitdem allerdings … genau: fast gar nichts!
Einen Befreiungsschlag hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) Ende September 2024 noch kurz vor dem Ampel-Aus gewagt und versucht, mit einer aktualisierten „Handhabung der A1-Bescheinigung“ der Hängepartie einen neuen Spin zu verpassen. In der Handhabung pfeift das BMAS in den dunklen Paragrafenwald hinein, es sähe „keine unionsrechtliche Verpflichtung, eine A1-Bescheinigung mit sich zu führen“. Das BMAS sinniert sogar, „bei kurzfristig anberaumten oder kurzzeitigen Entsendungen bis zu einer Woche könne es zweckmäßig sein, auf die Beantragung einer A1-Bescheinigung zu verzichten.“
Doch juristisch scheint sich das BMAS selbst nicht sicher zu sein und verweist sogar darauf, dass andere EU-Mitgliedsstaaten „abweichende Rechtsauffassungen“ haben können und die A1-Bescheinigung weiterhin verpflichtend vorsähen… Diese amtlicherseits angemaßte Interpretationsaktion hat somit eher den Charakter einer Verzweiflungstat und schafft am Ende das genaue Gegenteil von Rechtssicherheit. Logisch, dass nach dieser regierungsseitigen Verwirrungsrunde die Forderung nach echter Entbürokratisierung oder Entsorgung der A1-Bescheinung in Berlin und Brüssel umso lauter erschallt.
Mit dem unbefriedigendem Zwischenstand meines „Lackmustests“ bleibe ich also weiterhin mehr als skeptisch bezüglich aller politischen Versprechungen einer durchgreifenden Entbürokratisierung, von denen wir in den nächsten Wochen des Wahlkampfs sicherlich noch einige vernehmen werden. Damit richtet sich auch mein Blick auf die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl. Ich greife - ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit - deren Ansätze zum Bürokratieabbau einfach mal in alphabetischer Reihenfolge auf:
Bündnis 90/Die Grünen
Die Grünen sehen in den bereits eingeführten Praxis-Checks ein pragmatisches und erfolgreiches Instrument zum Abbau unnötiger Bürokratie, das sie in der nächsten Legislatur skalieren wollen. Bei jeder Gesetzgebung müsse die einfache Umsetzbarkeit im Mittelpunkt stehen. Die Digitalisierung der Verwaltung sei das zentrale Mittel für den Bürokratieabbau.
CDU/CSU
Eine Kultur des Machens und nicht der Fehlervermeidung wollen CDU/CSU etablieren. Die Zuständigkeit für Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung soll zurück ins Bundeskanzleramt. In der Hotellerie soll bei Dokumentationspflichten die Beweislast umgekehrt und regelmäßige Nachweise durch ein Anzeigerecht von Verstößen ersetzt werden. Bei Arbeitszeiterfassungssystemen soll größtmögliche Wahlfreiheit gegeben werden und Vertrauensarbeitszeiten weiterhin möglich sein. Die A1-Bescheinigung soll vereinfacht und digitalisiert werden.
FDP
Die FDP konstatiert Deutschland einen „Bürokratie-Burnout“ und fordert ein dreijähriges Moratorium für Bürokratie, in dem keine neue Belastungen für Unternehmen eingeführt werden dürfen. Sie will ein bürokratiefreies Jahr für Betriebe einführen, in dem diese keine Berichtspflichten erfüllen müssen. Ein Jahresbürokratieentlastungsgesetz soll einen Abbaupfad für überflüssige Regelungen schaffen und eine Bürokratiebremse soll im Grundgesetz verankert werden.
SPD
Die SPD will eine 10%-Investitionsprämie statt bürokratischer Förderprogramme und eine Genehmigungsfiktion für mehr Planungssicherheit bei Bau- und Investitionsprojekten einführen. Durch Zusammenführung, Vereinfachung und Digitalisierung von Dokumentations- und Berichtspflichten will sie „mehr Speed“ erreichen und neue Gesetze einem Praxischeck unterziehen. Hierzu will sie Wirtschaft, Länder und Kommunen zu einem Praxisgipfel einladen.
Sie haben am 23. Februar die Wahl!
2 Kommentare
January 3 2025 8:21 pm von Karl Kreuzig / BBG-Consulting GmbH
Frischer Wind aus dem Flacon
Wie anders sollte man es bezeichnen, wenn man auf papierne Hotel-Meldezettel, die ohnehin von der Polizei ungesehen entsorgt werden, oder auf 2 Jahre weniger Aufbewahrungsplicht von Altakten, zu Lasten deren Prüfbarkeit (sh. Cum-Cum), verzichtet? Ein wahrer Nutzen ist nicht einmal andeutungsweise belegbar.
Wenn Flugbenzin 2% sog. Bio-Kraftstoff und Heizöl 3% raffiniertes Fritten-Fett o.ä. als sog. Bio-Flüssigbrennstoff‘ beimischt werden sollen? Natürlich sollen diese Anteile, soweit überhaupt möglich, gesteigert werden. Doch erst über 5 Wahlperioden, wenn ihre Initiatoren ohnehin schon ihre Pension verzehren.
Entbürokratisierung funktioniert nur unter Verzicht auf Bürokraten, die ihre Bedeutung und Existenz mit ‚ etwas ..zu Verhindern ? ‘ rechtfertigen. Es sind nicht die Industrie oder der Handel, die Greenwashing betreiben, vielmehr sind es die Verantwortlichen bzw. Politiker, die blanke Augenwischerei praktizieren.
Zeitgleich, während die Ampel-Koalition von Bürokratie-Abbau sprach, schuf sie rd. 2.000 neue beamtete Stellen. Statt zu entbürokratisieren, wie behauptet, krallt sich die Politik, gleich welcher Couleur, in der Gesellschaft fest. Ausgebrannte Raketen werden unabhängig ihrer Qualifikation nach Besoldungsgruppe in Führungspositionen von Staatsunternehmen gehoben. Dementsprechend der Zustand unserer Bahn und Infrastruktur.
Dass Monarchien zu Gehorsam und blinder Gefolgschaft verpflichtete Staatsdiener hervorgebracht haben, ist nachvollziehbar. Doch haben sich diese inzwischen in einer, Beamten-Bund genannten, Gewerkschaft organisiert. Adel und -Titel sind abgeschafft, und wir dürfen stolz auf unsere Demokratie sein.
Doch wann denken wir daran, längst antiquerte Berufsstände und Privilegien einer überholt geglaubten Monarchie, unserer Staatsform anzupassen?
Nicht Start-Ups, KI und Förderung verhelfen uns zu mehr Effizienz. Es sind altmodische Begriffe wie Rationalisierung u. Optimierung. Schon unsere Altvorderen wussten, dass der Fisch vom Kopf her stinkt und man ein Übel nur an der Wurzel packen kann.
Ohnehin beklagen wir einen Fachkräfte-Mangel. Dessen Bedarf wird auf rd. 1,5 Mio. geschätzt, während 3,0 Mio. studieren. Auf eine beamtete Anstellung?
Der Zoll beamtet einen jeden auf der Stelle, auch ohne Studium. Welche hoheitlichen Aufgaben Lehrer erfüllen, erschließt sich nur diesen. Ein Freund meinte, weil er so lange studieren musste. Auf wessen Kosten?
January 8 2025 1:37 pm von Markus Luthe / Hotelverband Deutschland (IHA)
Nachdenkenswerte Vorschläge zum Thema macht Lutz Göbel, Chef des Nationalen Normenkontrollrats, im Interview für den Tagesspiegel Background vom 08.01.2025 (Abo):
https://background.tagesspiegel.de/digitalisierung-und-ki/briefing/der-staat-muss-den-buergern-vertrauen
"Deutschland verliert sich im Kleinklein. So sieht es Lutz Goebel, der Chef des Nationalen Normenkontrollrats (NKR). Stattdessen schlägt er weniger Kontrollen, mehr Pauschalen und eine zentrale Steuerung von Digitalisierung und Bürokratieabbau vor. Außerdem hätte er für zu komplizierte Gesetze gerne ein Veto."
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