Markus Luthe / 01.01 2024

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Blogpost von Markus Luthe zum Neuen Jahr und zur Bedeutung der Europawahlen am 9. Juni

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Jahresanfang – Zeit für einen Ausblick auf das, was das neue Jahr mit sich bringt. Vor 12 Monaten habe ich an dieser Stelle erstmals auf künstliche Intelligenz gesetzt und meinen Blogpost „Annus horribilis“ ChatGPT anvertraut. Nun, rückblickend betrachtet hat sicher nicht nur die KI noch Luft nach oben…

Was wird in diesem Jahr wichtig werden? Auch wenn es nahe liegen könnte, nun den Neujahrsbogen vom Mehrwertsteuerschock über die Fußball-EM bis zum andauernden Krieg in unserer Nachbarschaft zu spannen, möchte ich die Aufmerksamkeit auf ein anderes Ereignis lenken, dass für unsere gesellschaftliche, wirtschaftliche und damit auch touristische Zukunft von enorm unterschätzter Bedeutung sein wird: Die Europawahlen am 9. Juni 2024!

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament droht angesichts der jüngsten Wahlerfolge und Umfragehöhenflüge populistischer und extremistischer Parteien nichts weniger als eine Zäsur unserer europäischen Geschichte. Es steht zu befürchten, dass auch Deutschland mit niedriger Wahlbeteiligung oder Proteststimmen seinen Beitrag zur Destabilisierung des gemeinsamen europäischen Gebäudes leisten könnte. Ausgerechnet jetzt, wo wir angesichts der sich verschiebenden geostrategischen Blöcke offenkundig mehr statt weniger Gemeinsamkeit in Europa benötigen.

Eine Europamüdigkeit können wir uns in Deutschland nicht leisten, auch keine Europaenthaltsamkeit. Vielmehr müssen wir uns im ureigensten Interesse deutlich stärker engagieren. Es kann beispielsweise nicht dabei bleiben, dass Deutschland in den EU-Institutionen personell massiv unterrepräsentiert ist. Wir stellen als größter Mitgliedstaat 18,6 Prozent der EU-Bevölkerung. In den drei personalintensivsten Institutionen (Kommission, Parlament und Rat) liegt der Anteil der Mitarbeiter mit deutschem Pass jedoch deutlich darunter. In der Kommission liegt der Anteil der Deutschen bei 6,7 Prozent, im Parlament bei 8,5 Prozent und im Rat bei 5,6 Prozent auf Nicht-Management-Posten und 9,9 Prozent auf Management-Posten.

Selbstverständlich haben wir über unseren europäischen Dachverband HOTREC die Standpunkte der Branche zu den sich für die nächsten fünf Jahre abzeichnenden Megathemen in einem Manifest zur Europawahl zusammengetragen. Ich selber hatte die Ehre, sie am 29. November, dem Europäischen Tag des Gastgewerbes, in Brüssel Vertretern des Europäischen Parlamentes, der Kommission und des Rates vorstellen und erläutern zu dürfen.

Aber mir scheint das noch alles zu abstrakt und zu weit weg zu sein. Ich will deshalb ein aktuelles europäisches Gesetzgebungsvorgehen aufgreifen, um zu zeigen, wie wichtig die Entscheidungen in Brüssel für die Branche sind und dennoch weitgehend unbeachtet, gleichsam unterhalb des öffentlichen Radars erfolgen:

Im November 2022 hat die Europäische Kommission den Entwurf einer Richtlinie zur Eindämmung (Packaging and Packaging Waste Directive - PPWD) vorgelegt. Später wurde daraus ein Verordnungsentwurf (Regulation - PPWR), also ein Stück Brüsseler Gesetzgebung, das auch ohne förmliche Umsetzung in nationales Recht unmittelbar Gesetzeskraft in den Mitgliedsstaaten entfaltet. Die PPWR sieht u.a. ein komplettes Verbot von Einwegverpackungen im F&B-Bereich, von Einweg- und Miniaturverpackungen im Badezimmer auf Hotelzimmern und von Einweggeschirr vor. Um ein Detail herauszugreifen: Zucker in Papiertütchen neben der Kaffeemaschine auf dem Hotelzimmer wäre demnach gesetzlich verboten.

Das scheint uns weit über das sinnvolle Ziel hinaus zu schießen. Im Laufe der parlamentarischen Beratungen konnten wir das Europäische Parlament überzeugen, Differenzierungen bei den absoluten Verboten hinsichtlich Hygiene- und Sicherheitserfordernisse vorzunehmen, die auch Eingang in den Plenarbeschluss im November 2023 gefunden haben.

Im Dezember 2023 hat dann der Europäische Rat, also das Gremium der hier zuständigen Umweltminister der Mitgliedstaaten, unter spanischer Ratspräsidentschaft seine Positionierung vorgenommen, die mit einem Festhalten an der generellen Verbotslinie wiederum deutlich näher bei den Positionen der Kommission, denn denen des Parlaments liegt. Im Januar 2024 werden nun unter belgischer Ratspräsidentschaft die sogenannten Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Rat und Parlament starten. Eine Einigung noch in dieser europäischen Legislaturperiode erscheint möglich. Hoffentlich setzt sich das Europäische Parlament in den wichtigsten Punkten durch! 

Aber auch das ist das Europäische Parlament: Last minute hat es eine einzelne sozialistische Abgeordnete aus Irland geschafft, einen Passus in den Ausschussempfehlung und später auch in die Plenumsbeschlussfassung einzubringen, der Gastronomen verpflichten würde, Gästen Leitungswasser gratis oder gegen eine geringe Gebühr anzubieten.

Dies wäre natürlich ein massiver Eingriff in die unternehmerische Freiheit und könnte sich insbesondere im Zusammenwirken mit der Erhöhung des Umsatzsteuersatzes auf Speisen in der Gastronomie in Deutschland als fataler Zangenangriff auf die Rentabilität der Branche erweisen. Diese Vorschrift gehört natürlich unbedingt verwässert.

Die zukünftige Verpackungsverordnung zeigt also beispielhaft auf, wie sehr es bei der Brüsseler und eben auch der Berliner Gesetzgebung auf das Europäische Parlament und dort auch auf jede/n einzelne/n Abgeordnete/n ankommt!

Zu meinen guten Vorsätzen für das neue Jahr zählt jedenfalls, der Europäischen Union noch mehr Aufmerksamkeit, Achtung und Engagement widmen. Die Europawahl am 9. Juni ist von allergrößter Wichtigkeit für uns alle.


2 Kommentare
Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

luthe@hotellerie.de
2 Bemerkungen :

01/01/2024 23:10 von Rainer Willing / gastronomie.de

Wo bitte sollen wir die vielen Politiker hernehmen, die unsere Interessen in Brüssel wahrnehmen sollen, wenn wir auf nationaler Ebene nicht genügend Politiker haben, die unsere Interessen im eigenen Land vertreten können? Dabei geht es mir in erster Linie aber nicht um die zahlenmäßige Wirkung, sondern um die inhaltliche Gestaltung von Politik. Wir haben uns mit 16 Bundesländern und deren bürokratische Fesseln seit der Wiedervereinigung ein Bürokratie-Monster ans Bein gebunden, das wir weder bezahlen können, noch von deren Arbeit einen Nutzen verzeichnen können. Darauf müssen wir uns konzentrieren: wie wir dieses Geschwür abbauen können, um effizient arbeiten und gestalten zu können.
Rainer Willing, von gastronomie.de

03/01/2024 12:53 von Markus Luthe / Hotelverband Deutschland (IHA)

Es passt - leider - ins Gesamtbild:


"Die Mitgliedsstaaten hatten damit bis zum 28. Dezember 2023 Zeit, die Vorgaben (für ein einheitliches USB-C-Ladekabel) in nationales Recht umzusetzen. Deutschland hat diese Frist – nicht zuletzt wegen der Haushaltswirren der vergangenen Monate – aber nicht eingehalten."


https://www.heise.de/news/Einheitliches-Ladekabel-Deutschland-reisst-Frist-zur-Umsetzung-der-EU-Vorgaben-9585563.html

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