Wen schert's?

Markus Luthe / 19.09 2018

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Blogpost von Markus Luthe zur "Sharing" Economy

Airbnb - neighbors not tourist; © PRNO
Airbnb - neighbors not tourist; © PRNO

Sharing is caring? Das Bundeswirtschaftsministerium wollte dem Phänomen – oder besser: Phantom – der "Sharing" Economy auf den Grund gehen und gab beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln und DICE Consult eine umfangreiche Studie in Auftrag. Ihr vielversprechender Titel: „Sharing Economy im Wirtschaftsraum Deutschland – Analyse des Stellenwertes im Allgemeinen sowie Untersuchung der Handlungsoptionen im Einzelsegment ‚Vermittlungsdienste für Privatunterkünfte‘“.

Am vergangenen Donnerstag wurde die 158 Seiten umfassende Studie im Wirtschaftsministerium von den Verfassern vorgestellt. Ich selber hatte Gelegenheit, unmittelbar im Anschluss daran u.a. mit einem Vertreter von Airbnb und des Deutschen Städtetages live on stage die präsentierten Erkenntnisse kommentieren zu dürfen. Allen Diskutanten waren dabei die Einschränkungen der Aussagekraft der Studie präsent, die die Verfasser wissenschaftlich korrekt ausdrücklich hervorgehoben hatten. Ich zitiere dazu mal wahlweise einige Passagen aus der Studie:

  • „Zumindest teilweise scheint Airbnb damit substitutiv für Hotelaufenthalte zu sein.“ (S. 42)
     
  • „Die dargestellten Angebotszahlen sind entsprechend eher als Mindest- denn als Höchstwerte zu interpretieren.“ (S. 50)
     
  • „Gleichzeitig wird deutlich, dass potenzieller Wohnraumentzug ein lokales Thema ist, das mit den vorhandenen Daten nicht abgebildet werden kann.“ (S. 51)
     
  • „Denkbar ist, dass nicht einmal die Vermittlungsplattform Airbnb selbst in der Lage ist, verschiedene Accounts ein und derselben Person zu identifizieren und zuzuordnen. Vor diesem Hintergrund ist eine Unterschätzung des Grads der Professionalität der Anbieterinnen und Anbieter denkbar.“ (S. 53)
     
  • „Auf der Mikroebene ist Wohnraumentzug also zu vermuten, aber mit den vorliegenden Daten nicht zu belegen.“ (S. 55)
     
  • „Insgesamt ist die Datenlage nicht hinreichend genug, um hieraus eindeutige Schlussfolgerungen für Handlungsbedarfe abzuleiten.“ (S. 55)
     
  • „Gerade für die Ebenen, die in der öffentlichen Debatte thematisiert werden, sind damit keine klaren Aussagen möglich.“ (S. 55)
     
  • usw. usw. usw.
     

Wen schert’s? Nach der Veranstaltung musste ich jedenfalls erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass die Spin-Doktoren von Airbnb der Studie medial bereits ihren eigenen Drive aufdrängen konnten. So titelte das Handelsblatt „Wohnraummangel: Berlin sieht keinen Bedarf für neue Regeln für Vermittler wie Airbnb – Kommunen sollen sich kümmern“. Das stammt dann – mit Verlaub – journalistisch eher aus der Kategorie „abenteuerlicher Simplicissimus“.

Damit hier keine moderne Legendenbildung entsteht will ich dann doch einige Schwachstellen der Studie ausleuchten, die schon mit der unzulänglichen Begrifflichkeit der „Sharing“ Economy beginnen. Für die Zwecke der Studie zählen die Verfasser solche Unternehmen dazu, „deren Geschäftsmodell auf der webbasierten Vermittlung von temporären Nutzungsrechten zur häufig sequenziellen Nutzung von Gütern, zum Teil kombiniert mit Dienstleistungen, an wechselnde Endkonsumenten basiert.“ (S. 7)

Alle fünf Definitionskomponenten treffen auch auf die Hotellerie zu, die sich dann also ebenfalls zur „Sharing“ Economy zählen darf, gleichsam als zweitältestes „Sharing-Gewerbe“ der Welt? Bekommt sie dann auch die Aura sozialer Gemeinnützigkeit und Welpenschutz vor überbordender staatlicher Regulierung und fiskalischem Zugriff? Der Term „‚Sharing‘ Economy“ ist irreführend und wer ihn – zudem ohne Anführungszeichen – im Airbnb-Kontext verwendet, der ist dem wohlfeilen Marketingsprech des Silicon Valley schon auf den Leim gegangen.

Die Studie räumt vielmehr mit dem Märchen auf, eine neue Generation von Gästen bevorzuge Airbnb-Angebote, weil sie authentischen Kontakt zum Laien-Gastgeber suche (nur 12% der Airbnb-Gäste) oder ein authentisches lokales Wohnen (nur 23% der Airbnb-Gäste) suche (S. 59). Ganz eindeutig steht bei 70 % der Airbnb-Gäste der günstigere Preis im Vordergrund und damit stellt sich die Frage nach dem level playingfield dringender denn je. Die strukturellen Wettbewerbsverzerrungen können somit auch nicht mit dem Hinweis auf die positive konjunkturelle Situation der Gesamtbranche in den letzten acht Jahren kleingeredet und weggewischt werden.

Einen Beigeschmack hatte nicht nur für den Vertreter des Deutschen Städtetages die Tatsache, dass die Studie mangels anderer Datenzugriffsmöglichkeiten und Statistiken ausschließlich auf von Airbnb zur Verfügung gestellte Daten zur Ableitung fast aller Erkenntnisse zurückgreift. Buchstäblich: Ausgerechnet! Das Unternehmen sah sich schließlich schon in der Vergangenheit mit Vorwürfen eines selektiven Umgangs mit Daten ausgesetzt – wenn es denn überhaupt Datenmaterial shart, äh: teilt.

Es ist bedauerlich, dass die Datenlage und das Untersuchungsdesign keine belastbaren Rückschlüsse auf das Ausmaß der durch die grassierende Kurzzeitvermietung verursachten lokalen Wohnungsmarktprobleme zulassen. Immerhin ergibt die Auswertung der von Airbnb gewährten Daten, dass im Bundesdurchschnitt 60,6% der aktiven Inserate komplette Wohnungen makeln. Beim Trendfrühstück des Tagesspiegels ebenfalls am vergangenen Donnerstag bezifferte der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), diesen Wert für seinen Verantwortungsbereich auf 90%. Er wies zudem daraufhin, dass in Berlin-Mitte insbesondere niedrig bis mittelpreisiger Wohnraum zweckentfremdet werde und das Problem somit eine zusätzliche soziale Dimension habe.


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Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

office@hotellerie.de
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