Verwaiste Leitökonomie
Blog von Markus Luthe zum Jahresgutachten des Sachverständigenrates vom 14. November 2009
Die „5 Weisen“ haben gestern unter starker Medienaufmerksamkeit der Bundeskanzlerin ihr Jahresgutachten 2009/10 mit dem Titel „Die Zukunft nicht aufs Spiel setzen“ überreicht. Man könnte auch sagen, der zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat - mal wieder - einer Bundesregierung ein denkbar schlechtes Zeugnis ausgestellt mit dem Tenor: „Setzen, 5!“ Dieses Ritual ist aber sehr fragwürdig geworden, denn die Fünf haben sich mit diesem Schlechtachten des Koalitionsvertrages wohl selber geschadet.
Natürlich entsetzt die Diagnose des Sachverständigenrates zur Frage der Einführung des reduzierten Umsatzsteuersatzes für die Hotellerie. So teilen die 5 Weisen lapidar mit (S. 3): „Wenn man schon glaubt, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu haben, dann sollten diese besser für Zukunftsinvestitionen eingesetzt werden, anstatt sie beispielsweise in Form von Betreuungsgeld und Steuernachlässen für Hotelbetriebe zu verwenden.“ Und weiter unten tönt es (S. 198): „Ganz und gar unverständlich ist aber, dass zuvor ab dem 1. Januar 2010 noch der Anwendungsbereich des ermäßigten Umsatzsteuersatzes auch auf Beherbergungsleistungen des Hotel- und Gastronomiegewerbes ausgedehnt werden soll. Letztlich wird damit die mit der Ausweitung des ermäßigten Steuersatzes von 7vH auf Skiliftgebühren und Bergbahnen seit dem 1. Januar 2008 beschrittene Bedienung von Partikularinteressen fortgesetzt. Für die Arbeit der einzusetzenden Reformkommission lässt dies nichts Gutes erwarten.
Die vom Sachverständigenrat hierzu aufgezeigte Argumentationslinie ist sozial- und fiskalpolitisch, bestenfalls noch konjunkturpolitisch motiviert zu nennen. Aber ordnungspolitisch ist sie jedenfalls nicht durchdacht! Endet denn die Ordnungspolitik und die Verantwortung der Bundesregierung an der Landesgrenze? Warum unterschlägt der Sachverständigenrat, dass der reduzierte Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie schon heute in 21 von 27 EU-Mitgliedsstaaten angewandt wird und somit der Regelsatz ist? Halten die Professorin und die Professoren allen Ernstes einen gemeinsamen Binnenmarkt bei einheitlicher Euro-Währung für funktionstüchtig und Pareto-optimal, der in seinem Kernbereich der Umsatzbesteuerung auf einer so krassen Wettbewerbsverzerrung beruht?
Die Klassiker der Nationalökonomie kannten im 19. und 20. Jahrhundert für dieses Phänomen den Fachterminus „Beggar thy neighbour“: Jedes Land versuchte, seine relative Wettbewerbssituation zunächst durch Zölle und später durch Währungsabwertungen auf dem Rücken seiner Nachbarn zu verbessern. Wohlfahrtseinbußen für alle beteiligten Länder waren letztlich die Folge. Im Gemeinsamen Binnenmarkt der Eurozone ist unseren touristischen Wettbewerbern für eine solche Politik allein der reduzierte Mehrwertsteuersatz als Instrument verblieben – und davon wird kräftig Gebrauch gemacht! So hat der deutsche Gesetzgeber gleich welcher Couleur jahrzehntelang der Benachteiligung seiner heimischen Hotellerie und ihrem allmählichen betriebswirtschaftlichen „Ausbluten“ tatenlos zugesehen. Der neuen gelb-schwarzen Bundesregierung gebührt das Lob, dies nicht länger hinzunehmen.
Der Koalitionsvertrag der Regierung Merkel/Westerwelle bekennt sich ausdrücklich zum Stellenwert und enormen Job- und Wachstumspotenzial der Tourismuswirtschaft in Deutschland. Gleich als eine ihrer ersten Maßnahmen setzt Schwarz-Gelb mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz und dem darin enthaltenen reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie eine zentrale Maßnahme zur Unterstützung dieser bislang verwaisten „Leitökonomie der Zukunft“ um. Die deutsche Hotellerie wird endlich wieder auf Augenhöhe und mit faireren Rahmenbedingungen mit ihren Freunden und Nachbarn in Europa konkurrieren können – zum Nutzen der Gäste, der Mitarbeiter, der Zulieferer und der Betriebe selbst.
Die „5 Weisen“ scheinen dagegen noch ganz in der Old Economy verfangen. So widmet das Jahresgutachten 2009/10 bezeichnenderweise ein ganzes Kapitel der Industriepolitik (S. 211 – 252), während man nach einem korrespondierenden Kapitel zum Dienstleistungssektor vergeblich blättert – wenn man das Kapitel zum Finanzsystem (S. 117 – 162) in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise einmal außen vor lässt. Wen wundert es da, dass die Bundeskanzlerin von den professoralen (Rat-) Schlägen wenig angetan war und nach der nur zweiminütigen Protokollprozedur das ihr überreichte Exemplar des Jahresgutachtens gleich am Rednerpult liegen ließ? Später am Nachmittag formulierte dann Regierungssprecher Ulrich Wilhelm spitz: „Die Bundesregierung ist gut beraten, sich auf eigene Analysen und Expertisen zu stützen.“
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