Vergaloppiert
Blog von Markus Luthe zur Mehrwertsteuer
Der SPD-Kanzlerkandidat hat letzte Woche in Potsdam „Klartext“ (italienisch: „in altre parole“) gesprochen und mit seinem Clown-Vergleich des „Cavaliere“ noch mehr Aufmerksamkeit erzielt als seinerzeit mit der angedrohten Alpen-Kavallerie. Bei der gleichen Wahlkampfveranstaltung hat er auch in Sachen Mehrwertsteuersätze „klare Kante“ nach der Bundestagswahl versprochen: Er wolle die Ausnahmeregelungen für den reduzierten Mehrwertsteuersatz reduzieren und nur noch für Lebensmittel, Mieten, öffentlichen Nahverkehr, Kultur und einen noch nicht zu nennenden fünften Bereich gelten lassen.
Die Hotellerie wird sicher nicht das fünfte Rad an seinem Mehrwertsteuer-Karren sein, denn vor dem 19-Prozent-Oxer, den Peer Steinbrück der deutschen Hotellerie im Falle seines Obsiegens in den Weg zu stellen versprach, scheuten seine Zuhörer dem Vernehmen nach keinesfalls zurück.
Der SPD-Kanzlerkandidat stellt seinen potenziellen Wählern also massive Steuererhöhungen nicht nur bei Einkommensteuer, Erbschaftsteuer und Vermögensteuer in Aussicht, sondern auch noch Mehrwertsteuerhöhungen und bemerkenswerterweise sogar Mietsteigerungen. Er gibt den Hardliner auf klarem Kurs. Aber: Steinbrück und Mehrwertsteuer? Waren da nicht „Unregelmäßigkeiten“ auf seinem Parcours just in seiner Zeit (2005 - 2009) als Bundesfinanzminister? Stimmt, und es ging ausgerechnet um Pferdefleisch…
Die EU-Kommission monierte im Jahr 2008, dass der Pferdehandel in Deutschland nicht dem regulären, sondern dem reduzierten Mehrwertsteuersatz unterlag. Während Hund, Katze, Maus bei 19% den Besitzer wechseln, fielen für Kuh, Schwein, Pferd nur 7% Mehrwertsteuer an. Letztere seien schließlich allesamt nach dem Gang zum Schlachter als Lebensmittel zu betrachten, so die Argumentation des Bundesfinanzministers.
Nach amtlicher Statistik wurden 2008 in Deutschland neben 1,3 Millionen Kühen eben auch 9.500 Pferde zu Fleisch verarbeitet. Heute darf man - einige Tiefkühl-Lasagne später – den Markt für Pferdefleisch wohl eher etwas größer schätzen als den seinerzeit registrierten Anteil von 0,1% der Fleischerzeugung in Deutschland ("Geiz isst Gaul")...
Somit profitierten über den Lebensmittelumweg auch die Liebhaber des deutschen Pferdesportes vom reduzierten Mehrwertsteuersatz, denn auf Pferdeauktionen wechselten edle Turnierpferde für fünf- und sechsstellige Beträge zum reduzierten Mehrwertsteuersatz die Besitzer.
Die EU-Kommission sah hierin einen nicht länger hinzunehmenden „Deklarationsmissbrauch“, setzte Deutschland Ende 2008 eine letzte Frist und drohte eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesrepublik Deutschland an. Schließlich dürfe nach der Mehrwertsteuer-Richtlinie der reduzierte Mehrwertsteuersatz nicht angewendet werden für den Verkauf „von Ponys und Rennpferden, die weder für die Zubereitung von Nahrungs- oder Futtermitteln noch für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind“.
Und wie positionierte sich die Bundesregierung hierzu? Bundesfinanzminister Peer Steinbrück scheute vor der geballten reiterlichen Vereinigung zurück und ließ die Brüsseler Aufforderung nach Deklarationsänderung retournieren: „Es galt, was unter die gemäßigten Steuersätze fällt, soll auch da bleiben.“ Keine Spur also von dem heute kokettierten klaren Kurs in Sachen Mehrwertsteuer. Da gingen dem ehemaligen Bundesfinanzminister wohl eher die steuersystematischen Gäule durch.
Es kam dann übrigens, wie es nach dem mehrwertsteuerpolitischen Parforceritt von Peer Steinbrück kommen musste: Die EU-Kommission reichte tatsächlich Klage vor dem Europäischen Gerichtshof ein und dieser verurteilte die Bundesrepublik Deutschland 2011 zur Anwendung des vollen Mehrwertsteuersatzes auf den Handel mit Pferden. Der Deutsche Bundestag hatte auf seiner 165. Sitzung am 8. März 2012 dann das zweifelhafte Vergnügen, diese Vorgabe nur noch möglichst geräuschlos in deutsches Recht umzusetzen.
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