TaxBook
Blogpost von Markus Luthe zu Social Media
Vorgestern war ich auf dem fvw Online Marketing Kongress in Frankfurt. Es ist schon unglaublich beeindruckend zu erfahren, wie effizient heutzutage Werbekampagnen mit Hilfe von Social Media konzipiert und ausgesteuert werden – und gleichzeitig auch erschütternd, wie gläsern und schutzlos der User gegen immer ausgefeilteres Datentracking ist. Facebook ist je nach Sichtweise das Einfallstor oder der Heilsbringer, jedenfalls der Datenlieferant schlechthin.
Aber die meisten Nutzer scheint es nicht wirklich zu stören, dass sie im Netz auf jeden Schritt und Klick von riesigen Datenstaubsaugern erwartet werden. Oder sie kommen von der Daten- und Daddelnadel schon gar nicht mehr los. Von ihrer vermeintlichen „Buchführungspflicht“ schreckt sie auch nicht das ungeschriebene Grundgesetz des Internets ab: Wenn das Produkt nichts kostet, ist der User das Produkt.
Heute erreicht mich aber eine kleine unscheinbare Nachricht – samt tollem Kommentar! – aus der Thüringer Landeszeitung, die vielleicht aufhorchen lässt. Denn auch der Fiskus likt Facebook und loggt sich ein! Wird die Online-Steuerfahndung gar für die Big Data-Wende sorgen?
Die Stadt Weimar erhebt bekanntlich seit 2005 den Archetyp kommunaler Kulturförderabgaben nicht nur von Hotelgästen. Auch Besucher der Museen, Theater und Konzerte in der Kulturstadt müssen einen Extra-Obolus an die Stadtkasse entrichten. Und um die Konzertveranstalter scheint sich die Kämmerei besonders kümmern zu wollen: Sie gleicht die reale Steuererklärung der Konzertveranstalter mit den virtuellen Willensbekundungen („Hey, ich komme auch zum Konzert“) ihrer „Freunde“ auf Facebook ab und taxiert die theoretischen Konzerteinnahmen. Facebook wird zum TaxBook.
Das nenne ich kreativ und weitblickend von den Weimarer Stadtvätern, auch im Städtevergleich: Während Berlin beispielsweise noch ziemlich provinziell diskutiert, ob die Bezirksämter bei ihrer Suche nach Wohnraumzweckentfremdung über Airbnb & Co. überhaupt im Internet recherchieren dürfen, zählt Europas Kulturhauptstadt 1999 den Big Data Brother schon längst zu ihren Einwohnern.
Dabei kann ich vollauf verstehen, dass der Fiskus Facebook in seiner Favoritenleiste führt und wahrscheinlich den Konzern insgeheim fachlich bewundert aufgrund dessen enormer Steuergestaltungskreativität („Double Irish“). Konsequent weitergedacht liegt hier ja auch zu hebendes Steuersubstrat brach:
So wetteifern gegenwärtig Hotels noch um möglichst viele Facebook-Likes ihrer Gäste, es werden sogar veritable Facebook-Rankings geführt. Wie verführerisch muss da eine Gewebesteuerhinzurechnung für das Finanzamt sein? Eine Besteuerung nach purer Reichweite, statt nach realisiertem Erlös könnte doch auf der Hand liegen…
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