Räterepublik
Blog von Markus Luthe zur Politikberatung
Auch Ratschläge können Schläge sein. Das hat gerade erst die Bundesregierung erfahren dürfen: Da erdreisten sich die fünf Wirtschaftsweisen doch glatt, in ihrem neuen Jahresgutachten () wegen Frühverrentung und Mindestlohn auch die Bundesregierung für den konjunkturellen Abschwung verantwortlich zu machen.
Ja, dürfen die das denn überhaupt? Haben Sachverständigenräte nicht quasi die immanente Verpflichtung, jedwedem Regierungsprogramm zuzujubeln?
Die SPD ist jedenfalls in Rage und stellt ob dieser Ungeheuerlichkeit gleich das ganze Konstrukt des gesetzlich verankerten Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung infrage. SPD-Generalsekretärin und Diplom-Chemikerin Yasmin Fahimi ist sich sicher: „Das Gutachten der ‚Wirtschaftsweisen‘ versammelt auf 400 Seiten sehr plakative, teils sehr platte Wertungen – und viel zu wenig ökonomische Fakten. Es wird den wissenschaftlichen Anforderungen an ein solches Gutachten nicht gerecht und scheint mir in seiner ganzen Methodik nicht mehr auf der Höhe der Zeit zu sein.“
Mir dagegen spricht der Kommentator der Süddeutschen Zeitung aus dem Herzen: „Danke, Retro-Apo!“ Es scheint mir eher an der Zeit zu sein, grundsätzlich Respekt vor der wissenschaftlichen Arbeit (und auch Meinung!) anderer anzumahnen. Der Volksmund würde dazu wohl „Getroffene Hunde bellen laut“ sagen oder „ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt“ anstimmen.
Dass mit den Wirtschaftsweisen ausgerechnet der Prototyp aller Sachverständigenräte der Bundesregierung (seit 1963!) den Zorn der Sozialdemokratie auf sich zieht, darf einigermaßen verwundern. Schließlich ist in den Folgejahren längst eine Inflation des Gutachterns im Politikbetrieb zu diagnostizieren. Neben den unzähligen Beiräten der einzelnen Ministerien gibt es mit Gesetzesrang auch noch den Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, den Sachverständigenrat für Umweltfragen, … Man könnte auch formulieren, wir seien längst auf dem Weg zu einer „Räterepublik“.
Der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Heiko Maas (SPD) hat erst in der letzten Woche im Bundesanzeiger einen weiteren Rat bekanntgemacht: Den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen. Er setzt damit eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD (Kapitel 4.2 „Lebensqualität in der Stadt und auf dem Land“) um. Das neunköpfige Expertengremium soll Ziele und Grundsätze einer effektiven Verbraucherpolitik erarbeiten, verbraucherpolitische Instrumente und Maßnahmen überprüfen, Vorschläge zur Verbraucheraufklärung entwickeln, sowie im jährlichen Wechsel Gutachten zur Lage der Verbraucher und themenspezifische Analysen vorlegen.
Ich empfinde es - gerade auch im Lichte der aktuellen SPD-Kritik an den fünf Wirtschaftsweisen und der damit einhergehenden Politisierung des Beraterwesens - als mehr als nur einen Formfehler, dass die Wirtschaft im Sachverständigenrat für Verbraucherfragen nur mit einer Vertreterin (Dr. Daniela Büchel, Mitglied der REWE-Geschäftsleitung) repräsentiert ist. Gemeinsam mit den anderen führenden Wirtschaftsverbänden hatten wir auf eine ausgewogenere Besetzung gedrängt analog etwa zum Kuratorium der Stiftung Warentest, das sich zu je einem Drittel aus Vertretern der Wirtschaft, des Verbraucherschutzes und „neutralen“ Mitgliedern aus der Wissenschaft zusammensetzt.
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