Pari-pari oder Larifari?

Markus Luthe / 30.10 2012

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Blog von Markus Luthe zur Distribution

Kaum ein Thema wird derzeit in der Branche so intensiv diskutiert wie die Ratenparität. Bereits vor zwei Jahren hinterfragte ich in diesem Blog das Konzept der und mahnte die freie unternehmerische Entscheidung eines jeden Hoteliers an, ob er eine Ratenparität über seine Distributionskanäle gewähren möchte oder eben nicht. Die jüngsten Entwicklungen belegen die hohe Aktualität des Themas.

 

Mit dem vorläufigen Einschreiten der Wettbewerbsbehörden in Deutschland und Großbritannien, den anhängigen Gerichtsverfahren in Kalifornien und Texas, aber auch den aufkommenden öffentlichen Diskussionen in den Niederlanden oder Norwegen werden die Grundlagen der Zusammenarbeit der Hotellerie mit ihren immer dominanteren Mittlern hinterfragt.

 

Der Ton wird jedenfalls zunehmend rauer und fordernder: Nach wie vor gehen bei deutschen Hotels täglich automatisierte Warnmitteilungen der Online-Buchungsportale ein, die selbst geringste Verstöße gegen die Ratenparität monieren und ultimativ Abhilfe verlangen. Und weist ein Hotelier gar einen über ein Buchungsportal vermittelten Hotelgast auf die Vorteile einer zukünftigen Direktbuchung hin, so wird er mit einer Systemsperre auf unbestimmte Zeit belegt. Nicht einmal der angebotene Kotau einer schriftlichen Entschuldigung und Unterlassungserklärung durch den Hotelier brachte dem Verbandsmitglied die Buchbarkeit zurück, so dass dieser krasse Fall nun die Gerichte beschäftigen wird.

 

Die Online-Buchungsportale rechtfertigen die Repressalien damit, dass dies doch im wohl verstandenen, übergeordneten Interesse der Hotellerie selbst sei. Nur die Ratenparität schütze das einzelne Hotel vor einer Abwärtsspirale der Zimmerpreise — die die Portale andernfalls bedauerlicherweise auslösen müssten.

 

Also: Applaus bitte!? Mir scheinen angesichts der einen oder anderen zustimmenden Reaktion aus der Branche eher Anwendungsfälle des Stockholm Syndroms vorzuliegen.

 

Wie soll mittel- und langfristig in einer Marktwirtschaft das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage zu einem funktionierenden Ausgleich gebracht werden, wenn über ein engmaschig auferlegtes Paritätengitter der Preis (Rate) und die Menge (Verfügbarkeit) gleichgeschaltet und damit als Wettbewerbsparameter abgeschaltet werden? Der preislich ohnehin darniederliegende deutsche Hotelmarkt dürfte jedenfalls kaum als besonders gelungenes Referenzmodell für die Spiralentheorie jenseits der Ratenparität dienen.

 

Unter dem Paritätenregime verlagert sich der Wettbewerb am Markt gar auf Nebenschauplätze, wie die permanenten AGB-Verschärfungen der Portale im Bereich höherer Gewalt oder die expliziten Promotionskampagnen für die 18 Uhr-Buchung zum Leidwesen der Branche belegen. Oder er degeneriert zu einer dumpfen Bieterschlacht der Buchungsportale um Google AdWords, deren immer höhere Rechnung dem Hotelier anschließend zur Begleichung über die Kommissionshöhe durchgereicht wird.

 

Bis zur 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) im Jahr 2005 waren Meistbegünstigungsklauseln wie die Ratenparität ein eindeutiger Verstoß gegen § 14 GWB a.F. und ausnahmslos kartellrechtswidrig. Seitdem können – nach Auffassung einiger juristischer Literaturmeinungen – Meistbegünstigungsklauseln gemäß § 2 GWB / Art. 101 Abs. 3 AEUV / Vertikal-GVO freigestellt sein, wenn systemische Effizienzgewinne für den Markt der Hotelbuchungen und insbesondere für den Buchenden (!) nachgewiesen werden. Dieser Beweis wird und kann den Buchungsportalen aber nicht gelingen. Die Branche ist daher gut beraten, sich auf den zumindest mittelfristigen Wegfall der auferlegten Ratenparität einzustellen.

 

Die Buchungsportale werden deshalb in nächster Zeit sicher versuchen, ihre Paritätenwelt außerhalb der AGBs zukunftsfest und rechtssicherer zu verankern. Sie werden Goodies für das Wohlverhalten von Hotels ausloben, neue (mehr oder weniger irreführende) Labels zur Vermarktung kreieren, weitere Gratisleistungen für den Gast anfordern (Internet) oder Dauerrabatte auflegen (Mobil) u.v.m. Die Ratenparität wird in diesen Paketen immer mitverschnürt sein – alles freiwillig natürlich.

 

Sie werden auch technisch weiter aufrüsten, damit sie die Ratenvielfalt insbesondere der konventionellen Offline-Vertriebskanäle auch im Web abbilden können. Nota bene: Die Ratenparität über alle – online wie offline – Vertriebskanäle haben die Hoteliers schon heute per Standardvertrag den Buchungsportalen gewährt. Es bedarf dann nur noch einer einseitigen Willenserklärung der Portale, um dieses allumfassende Paritätengitter in die Praxis umzusetzen. Es sei denn, die Wettbewerbsbehörden schieben dem noch einen wirksamen Riegel vor.

 

Mir kommt in dem Zusammenhang der von Reinhard K. Sprenger einmal so genannte „Tribüneneffekt“ in den Sinn: Während eines Fußballspiels steht in der zweiten oder dritten Tribünenreihe irgendjemand auf, um besser zu sehen. Kurze Zeit später steht die gesamte Tribüne, um den Spielverlauf überhaupt noch verfolgen zu können. Und alle stehen unbequem. Aber niemand wird sich bis zum Abpfiff wieder hinsetzen…


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Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

luthe@hotellerie.de
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