Offenbarungseid

Markus Luthe / 26.04 2021

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Blogpost von Markus Luthe zur Corona-Krise

Insolvenz
© ClipDealer

Die deutsche Hotellerie, die deutsche Wirtschaft schliddert in Richtung eines ganz entscheidenden Datums: Just mit dem „Tag der Arbeit“ am 1. Mai werden viele Unternehmen in Deutschland entscheiden müssen, ob sie noch einen Ausweg aus der Corona-Krise sehen oder ihren Kampf ums Überleben und die Arbeitsplätze verloren geben müssen. Denn nach dem 30. April wird die nur vorübergehend ausgesetzte Insolvenzantragspflicht automatisch wieder scharf gestellt.

Seit März 2020 war sie aufgrund der Corona-Pandemie dreimal aufgehoben worden, zuletzt Ende Januar. Dabei galt die Aufhebung der Insolvenzantragspflicht ohnehin nur für Unternehmen, die noch staatliche Wirtschaftshilfen aus den aufgelegten Hilfsprogrammen erwarten können, aber aus den unterschiedlichsten Gründen noch nicht erhalten haben. Und die ausstehende Auszahlung der Wirtschaftshilfe musste zudem auch so üppig sein, dass sie die Insolvenzreife verhindern würde.

Der Kreis der Betroffenen dürfte in der Hotellerie noch erheblich sein, denn große Unternehmen konnten überhaupt erst Ende Februar Anträge auf Novemberhilfe oder Dezemberhilfe stellen und die Hilfszahlungen sind bei sehr vielen, vermutlich den meisten dieser Unternehmen bis heute noch nicht auf dem Konto eingetroffen. Ähnliche Dramen spielen sich bei der Überbrückungshilfe III ab.

Nun droht diesen Unternehmen der Sudden Death in der unbestimmten Nachspielzeit der dritten Pandemie-Welle. Während sich die SPD-Bundestagsfraktion klar dafür ausspricht, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht über den 30. April nochmals für zwei Monate zu verlängern, legt sich die Unionsfraktion dermaßen quer, dass das Bundesjustizministerium heute mitteilt, derzeit keine dahingehende Initiative anzustreben.

Diese fundamentalistische Verweigerungshaltung und das Gefasel von „Zombiefirmen“ muss sich fatal auf die Hoteliers und ihre Teams auswirken, die vor und nach der Corona-Krise tragfähige Geschäftsmodelle hatten/haben, die anerkanntermaßen nichts zum Pandemiegeschehen beitragen und über die gegenwärtig dennoch zum Wohl der Allgemeinheit von den Regierungen in Bund und Land ein faktisches Berufsverbot verhängt wurde!

Noch ist es auch trotz der Eilbedürftigkeit nicht zu spät. Die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kann auch noch in der ersten Sitzungswoche des Bundestags im Mai beschlossen werden und die Antragspflicht rückwirkend wieder ausgesetzt werden. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass so noch pragmatisch gehandelt würde.

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist eine ethische Verpflichtung der politisch Verantwortlichen und zudem ein Gebot der volkswirtschaftlichen Vernunft. Alles andere wäre ein Offenbarungseid der Wirtschaftspolitik!


3 Kommentare
Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

luthe@hotellerie.de
3 Bemerkungen :

29/04/2021 08:57 von Stefan Wild / Hotelgast GmbH

Unglaublicher Dilettantismus!! Erst bitte zum Tropf, damit Unternehmenshilfen faktisch fließen. Danach bitte zum Sauerstoff, damit wir so still und leise dem Patienten Unternehmen die lebenserhaltenden Maßnahmen abschalten!!! Unternehmen "von oder mit Covid-19 verstorben" ab in die Statistik!!

30/04/2021 11:24 von Markus Luthe / Hotelverband Deutschland (IHA)

Mein geschätzter Kollege Julius Wagner, Hauptgeschäftsführer des DEHOGA Hessen, hat sich zu dem Thema im außergewöhnlichen Newsletter der in seinem Bundesland beheimateten Mook-Group ebenfalls geäußert:


"Der maßgebliche Autor der zuweilen spitz, markant und immer mit starken Bildern formulierten Botschaften dieses Newsletters, der Gastro-Unternehmer Christian Mook hat mir erlaubt, hier etwas zu den uns gerade in dieser Zeit verbindenden Herausforderungen zu schreiben. Dafür danke ich ihm und bitte Sie sogleich darum, mir nachzusehen, dass Sie – sofern Sie Muße haben – wieder etwas anderes zu lesen bekommen als über das, was uns allen fehlt: Genuss, Passion, engagierten persönlichen Service und der Hauch von Welt, kurzum: die Essenz der Mook-Restaurants. Christian Mook ist mit allen seinen Restaurants Mitglied im Hotel- und Gastronomieverband DEHOGA Hessen. Wir kennen einander nun schon einige Jahre, und wir diskutieren seitdem intensiv und leidenschaftlich über den Zustand der Gastronomie und was unsere Aufgaben für die Zukunft sind. Nun – bald im 15. Monat der Pandemie – hört man hier und da, dass die geschlossene Gastronomie jedenfalls durch die staatlichen Hilfsprogramme gut durch die Krise gebracht wird. Insbesondere der Bundeswirtschaftsminister freut sich öffentlich über eine historisch niedrige Insolvenzrate in Deutschland und sieht daher auch keinen Anlass, das Insolvenzrecht weiter zu pausieren, wie es in den vergangenen Monaten geschehen ist.


Und genau dazu gestatten Sie mir ein Wort: Zu Beginn des zweiten bis heute andauernden Lockdowns der Gastronomie im November 2020 wurden sog. „November- und Dezemberhilfen“ versprochen. Für die Zeit von Januar bis Juni 2021 läuft aktuell das Bundesprogramm „Überbrückungshilfe III“. Mit Blick darauf, dass auch die Verwaltung ihre Zeit braucht, um ein durchaus nennenswertes Hilfsprogramm rechtsstaatlich umzusetzen, hatte man konsequent die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages im Falle drohender Überschuldung ausgesetzt. Macht (volkswirtschaftlich) Sinn. Die staatlich verordnete Schließung führt zunächst zum abrupten Umsatzstopp in den Unternehmen während Verträge Bestand behalten und die Fixkosten weiterlaufen. Die Pausetaste ist gedrückt. So galt dies bis dato auch für das Insolvenzrecht.


Ich kann Ihnen von tausenden persönlichen Schicksalen an dieser Stelle berichten. Doch nehmen wir diejenigen, die fernab des Verlustes ihrer seelischen Kraft und ihres Glaubens, es mit schlichten betriebswirtschaftlichen Zahlen als Kaufleute zu tun haben, hier in den Blick. Von den rund 25.000 Anträgen auf die „November- und Dezemberhilfen“ allein in Hessen stammen über 60 Prozent aus Hotellerie und Gastronomie. Bis heute sind über 363 Millionen Euro der „Winterhilfen“ ins hessische Gastgewerbe geleistet worden. Das macht in erster Linie die Betroffenheit deutlich. Das Programm ist heute zu 90 Prozent abgeschlossen. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht galt dabei immer nur für die Unternehmen, die Anspruch auf Hilfen, diese jedoch noch nicht erhalten haben. Die noch offenen 10 Prozent betreffen größere Betriebe; Unternehmen unserer sonst kleinst- und kleingewerblich geprägten Branche, die als große Arbeitgeber und echte Leistungsträger gelten. Das lange Warten auf die existentiell notwendigen Hilfen hat Folgen. Rücklagen müssen in großem Umfang aufgebraucht, Eigenkapital – wo möglich – zusätzlich eingebracht, Verpflichtungen gestundet und Kredite aufgenommen werden.


Das wesentliche Element unserer, ja jeder Wirtschaftsordnung ist Vertrauen; ein Urprinzip des Handels: ‚Do ut des‘ – ‚Ich gebe, damit Du gibst.‘ Dieser römische Grundsatz bildet den Ausgangspunkt für über 2.000 Jahre Vertragsrechtsgeschichte. Wirtschaft basiert auf stabilen Regeln und einem gemeinsamen Wertekodex. Wer also nun all seine Kraft aufbringt, seine Unternehmung und seine Mitarbeitenden zu stützen, zu „beatmen“, der glaubt an die Zukunft, die des eigenen Unternehmens und die der Ordnung, auf der es aufgebaut wurde. Und ganz konkret vertraut er auf die zugesagte staatliche Unterstützung im Kampf gegen die Pandemie. Und gerade die lässt auf sich warten, ist kompliziert und keinesfalls mit der Sicherheit ausgestattet, sie nicht wieder zu verlieren. Da ist eine Weigerung der Bundesregierung, für eben jene Wartenden das Insolvenzrecht bis zum Erhalt der Kompensationsgelder weiter auszusetzen nicht gerade das, was auf das ohnehin beanspruchte Vertrauenskonto einzahlt.


Diese Facetten der Krise für die Unternehmer:innen des Gastgewerbes sind nur ein Ausschnitt aus dem Mosaik an Herausforderungen, die allesamt dazu beitragen, die Haltung und den Glauben an die Zukunft schwer zu belasten. Die Bundesregierung (und die Länder) sind in der verfassungsmäßigen Pflicht, Leib und Leben ihrer Bürger:innen zu schützen, mithin Gefahren der Gesundheit abzuwehren. Nach 14 Monaten der Krisenbewältigung, in der vieles schief gelaufen sein mag, ist doch Schlimmes verhindert worden, was der Blick in andere Teile der Welt aufs Dramatischste bestätigt. Mit der sog. „Bundesnotbremse“ wird nicht nur den Unternehmen klar aufgezeigt, was z.B. ab einer Inzidenz von 100 passiert, ja schließt. Angesichts der Summe all dessen aber, ist die Zeit gekommen, die Erfahrung vorhanden und, noch wichtiger, ist es dringend geboten, den Menschen die Deklination nach „unten“ verlässlich aufzuzeigen: Was geschieht konkret bei einer Inzidenz unter 100? Vertrauen braucht diese Verlässlichkeit. Dazu muss man aber den beherzten Schritt gehen und einen Plan offen legen und verbindlich stellen. Denn kein Unternehmer, kein Gastronom ist angetreten, um seinen Betrieb bis ultimo auf Staatskosten zu halten; jedenfalls nicht, wenn er nicht die wertvollste Sicherheitsleistung des Staates gegenüber der Krise erhält: Vertrauen.


Wir, die im Verband für die Branche Arbeitenden in Ehren- und Hauptamt, die Unternehmer:innen und ich vermute auch Sie, müssen unseren Beitrag dazu leisten, Stabilität und Wohlstand zu erhalten und gegen die Erschütterungen, die diese Zeit hervorruft, abzusichern. Und diese sind immens, auch da viele nicht in ihrer Existenz derart Betroffene sie als solche nicht wahrnehmen. Gerade das aber ist gefährlich. Umso mehr hat der Staat die Aufgabe, auch über die Krise hinaus denselben Beitrag zu leisten und seine Glaubwürdigkeit zu bewahren.


Ich wünsche uns sehr, dass wir in diesem Newsletter bald wieder anderes werden lesen und insbesondere wieder mehr Leidenschaft auf die Frage nach dem besten rôti de porc verwenden können. Bis dahin hoffe ich auf Ihre Treue zur Gastronomie im Allgemeinen und zur Mook Group im Besonderen und schließlich auf den Langmut der Wirte."

30/04/2021 14:52 von Markus Luthe / Hotelverband Deutschland (IHA)

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