Gas-Triage

Gast Author / 27.07 2022

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Blogpost von Rolf Seelige-Steinhoff zur Energieversorgung

Rolf Seelige-Steinhoff, IHA-Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der Seetel Hotel GmbH & Co. Betriebs-KG
Rolf Seelige-Steinhoff, IHA-Vorstandsmitglied und Geschäftsführer der Seetel Hotel GmbH & Co. Betriebs-KG

In Krisenzeiten wie diesen, muss jeder einen Beitrag dazu leisten, damit wir aus der Abhängigkeit von russischer Energie herauskommen. Das gilt natürlich auch für die Hotellerie.

Aber inwieweit sind die Konzepte überhaupt auf die Hotellerie übertragbar? Könnten wir in der Branche denn damit umgehen, wenn uns gegebenenfalls von heute auf morgen das Gas abgestellt wird? Dem gehe ich mit diesem Blogpost nach. Der Schwerpunkt wird dabei auf der Leisure-Hotellerie liegen, die häufig mit zusätzlichen Gastangeboten, wie beispielsweise Wellness- und Spa-Einrichtungen, konzipiert ist.

Wir bei den SEETELHOTELS auf Usedom haben fast in jedem Haus entsprechende Angebote, um den Gast auch einen längeren wunderschönen Urlaub anbieten zu können. Ebenso ist auch die gesamte gastronomische Versorgung so ausgebaut, dass wir zu unterschiedlichsten Uhrzeiten eine umfangreiche kulinarische Vielfalt anbieten können. Dies hat natürlich zur Folge, dass die Umsatzstruktur anteilig deutlich geringer im Logisbereich, sondern stärker in der Gastronomie und den sonstigen Bereichen (Wellness, Spa etc.) anfällt. Demzufolge teilt sich auch die reine Kostenstruktur, speziell bei den Energiekosten, technisch anders auf.

Denn gerade umfangreiche Küchen, wie wir sie heutzutage haben, sind auch energieintensive Einrichtungen. Und gerade Gas eignet sich in vielen Bereichen exzellent dafür, um dem Gast optimale Produkte anbieten zu können. Darüber hinaus wird in den Wellness- und Spa-Einrichtungen mit den Schwimmbädern, den verschiedenen Dampfkabinen etc., sehr viel thermische Energie gebraucht, welche bei uns fast ausschließlich mit Gas erzeugt wird.

Wenn wir also beispielsweise die Reduktion von 25% unseres Gasverbrauches erzielen müssen, wird unser Geschäftsmodell komplett vom Ergebnis her in Frage gestellt. Wir brauchen einen sehr großen Bedarf des Gases für die wärmetechnische Versorgung der Zimmer, sowie auch für den Warmwasserbereich. Das heißt, um eine Einsparung vorzunehmen, müssen wir die Anzahl von Zimmern reduzieren. Darüber hinaus ist der Spa-Bereich deutlich herunterzufahren, was nicht mit einer einfachen Reduzierung der Wassertemperaturen im Schwimmbadbereich zu erzielen ist. Vielmehr müssten alle mit reiner Wärme betriebenen Bereiche gedrosselt werden.

Im Küchenbereich ist das Einsparungspotenzial nicht so groß. Da kann eine Einsparung nur durch Optimierung von Prozessen, beispielsweise durch andere Speisen gewonnen werden. Nehmen wir aber gerade in den Wintermonaten bei den Leisure-Hotels den Wellnessbereich fast komplett raus, wäre natürlich das Angebot um das wesentliche Herzstück reduziert.

Darüber hinaus können wir dann nicht mehr die betriebswirtschaftlich notwendigen Raten erzielen und verlieren Auslastung. Unser RevPAR sinkt deutlich durch die erhebliche Reduzierung beim Zimmerangebot, in der Summe wird aber nur ein überschaubarer Teil der Wärmeenergie eingespart. Die Grundlast benötigen wir in der Grundversorgung des Hotels, öffentlichen Räumlichkeiten, Verkehrsflächen etc.

In unserem Rechenmodell sind hier schon fast 40% der Zimmerkapazitäten herausgenommen, d.h. das Konzept Leisure-Hotel, gerade in den Wintermonaten funktioniert nicht mehr, da das Angebot aufgrund der Einschränkungen nicht mehr stimmt, die Preise nicht mehr erzielt werden können, die Auslastung sich reduziert und gleichzeitig durch die verringerten Angebotskapazitäten die Wirtschaftlichkeit nicht mehr gegeben ist.

Und diese Rechenübungen sind nur der erste Schrecken, denn die nächste Konsequenz wird die vollständige Schließung unserer Hotels sein, wenn wir nur noch mit Zuständen zwischen „Gas“ oder „kein Gas“ konfrontiert werden. Ohne Gas haben die Häuser keine Grundversorgung und keine Grundwärme mehr. Dann wäre es vordergründig konsequent, die Häuser erst dann wieder hochzufahren, wenn der Winter vorbei ist. In diese Richtung scheinen auch die ersten Gedankenspiele im Wirtschaftsministerium zu gehen.

Das hätte allerdings zur Folge, dass wir aus allen Leitungen und Heizungen das Wasser ablassen müssen, damit im Winter bei tiefen Temperaturen um den Gefrierpunkt oder noch darunter keine Wasserschäden auftreten. Ist dies aber das größte Problem? Nein, denn das Hauptproblem besteht in der baulichen Konzeption moderner Hotels.

Denn diese sind mittlerweile als Ganzjahresbetriebe geplant und auch gebaut worden. So wird im Gegensatz zu früheren Baumaßnahmen nicht mehr klassisch Mauerwerk und reiner Kalkputz verwendet, sondern heutzutage arbeiten wir sehr viel auch mit Trockenbau und beispielsweise mit Gipsputz. Dieser enthält unter anderem Zusatzstoffe wie Schwefel etc., die bei einer längeren Schließung bei sehr niedrigen Temperaturen eine äußerst unangenehme Tendenz zur Schimmelbildung entwickeln werden.

Dies hätte zur Folge, dass wir bei einem Leerstand der Hotels über diverse Wintermonate ohne Grundversorgung bei niedrigen Temperaturen uns auf massive Schadensbilder einstellen müssten. Bei den entsprechenden Flächen von Trennwänden und -decken in öffentlichen Bereichen, in den Zimmern, im Wellnessbereich etc., die in solchen Hotels verbaut sind, handelt es sich natürlich sofort um Schadensbildung in Millionenhöhe je Objekt.

Gegen wen könnten sich dann allfällige Schadensersatzansprüche für ein selektives Gas-Abschalten richten? Den Bund, das Land? Solche Ansprüche ergeben sich u.a. nach § 11 ff. Energiesicherungsgesetz, aber für deren Durchsetzung wird man Jahre des Prozessierens veranschlagen dürfen.

In der Zwischenzeit wird man freie Liquidität benötigen, um die entstandenen Schäden komplett beseitigen zu können. Selbstverständlich könnten wir in diesem Zustand unsere Hausbanken ansprechen und sagen, wir haben vielleicht eine theoretische Chance in einigen Jahren Schadensersatz vom Bund oder vom Land zu bekommen. Sehr zeitnah benötigen wir aber für die Sanierung der Hotels entsprechende Kredite, bei gleichzeitiger Verknappung des Angebots der vorhandenen Baufirmen. Wir müssten also davon ausgehen, dass die Hotels einen längeren Zeitraum, beispielsweise ein Jahr, ihr Geschäft operativ nicht mehr aktiv betreiben können. Das heißt wir verlieren durch die Schließung und durch den Nichtbetrieb der Hotels den größten Teil der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, müssen zusätzliche Schulden aufnehmen, müssen Firmen suchen, die die Mängel beseitigen, um letztendlich die Hoffnung zu haben, das ganze über uns hereingebrochene Desaster wirtschaftlich überleben zu können...

Wer also entscheidet am Ende nach welchen Kriterien darüber, welche Unternehmen am Markt verbleiben dürfen, wessen Beschäftigte zu entlassen sind und wessen Existenzen zerstört werden? Eine pauschale Gas-Triage nach Branchen ist keine Lösung!


4 Kommentare
4 Bemerkungen :

27/07/2022 17:25 von Arne Mundt / halbersbacher hospitality group

Lieber Rolf Seelige-Steinhoff,
das ist eine, nach meiner Wahrnehmung und Einschätzung, hervorragende Zusammenstellung mehrerer Szenarien, die uns vermutlich genauso treffen werden; und dann stehen wir, auch als Land, vor wirklich gewaltigen Herausforderungen.
BG, Arne Mundt

27/07/2022 18:05 von Rainer Willing / gastronomie.de

Das ist ein guter Beitrag aus der Praxis, den aber leider Theoretiker nicht nachvollziehen können, weil ihnen die Fähigkeit fehlt komplexe Zusammenhänge nachzuvollziehen. Seit wir uns mit Corona befassen und die Eierei der Politiker erleben, die den Mumm nicht haben an die grundsätzliche Problematik heranzugehen, kann man auch in der aktuellen Diskussion der voraussichtlich fehlenden Gas-Bevorratung davon ausgehen, dass Alles dem Zufall überlassen wird. Das ist das Ergebnis falscher, genau genommen ineffektiver föderalistischer Strukturen. Es geht bei uns deshalb nichts voran, weil die Politik nach eigenen Interessen und nicht nach dem Wohl des Volkes ausgerichtet ist (auch ein Habeck macht hier noch keinen Sommer): zuviel die mitreden, zuwenig die entscheiden. Wir haben ein handfestes Strukturproblem, leider auch in den Köpfen.

28/07/2022 10:28 von Holger Kuball / DKB

Danke für die fundierte Darstellung der Problemfelder und der eingeschränkten Handlungsoptionen. Aus Sicht eines Politikers liegt der Gedanke nahe, dass Hotels ja in Corona gezeigt haben, wie sie "erfolgreich" den Geschäftsbetrieb einstellen und hochfahren können. Allerdings sind die finanziellen Lasten trotz staatlicher Hilfen nicht verarbeitet; aufgenommene KfW-Hilfskredite stehen zur Tilgung an, gestundete Pachten sind nachzuzahlen und einen Beitrag zur Klimawende in Form von energetischen Sanierungen sind auch erwünscht. Ohne staatliche Stützungsmaßnahmen werden viele Hotels eine weitere Belastung nicht tragen können. Der GdV hat ja präsent auf seiner Homepage bekannt gegeben, dass eine Betriebsunterbrechungsversicherung in diesem Fall nicht greift. Auch das Statement des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages kommt zu dem Ergebnis, dass §11 EnSiG nur bei enteignungsgleichen Eingriffen greift, wobei ausdrücklich nicht der Vermögensschaden zu ersetzen ist. Insofern wird es spannend, wie ein "You never walk alone" ausgestaltet wird.

01/08/2022 18:28 von Hildegard Dorn-Petersen / hotel consult Unternehmensberatung

Danke, lieber Herr Seelige-Steinhoff, für die ausführliche Darstellung des komplexen Themas. Alleine bei dem Gedanke von energiebedingten Hotelschließungen im Winter baut sich für mich ein Horrorszenario auf. Wenn ich mich erinnere, wie wir vor 20 Jahren mit der Potenzialanalyse für den Standort Usedom vorsichtig die Fühler in Richtung Wellness ausgestreckt haben. In der Zwischenzeit hat die Wellness Destination Usedom mit Ihren Häusern und zahlreichen Kollegen Erfolgsgeschichte geschrieben. So war damals beispielsweise der November ein Monat, der mit Rabattaktionen vermarktet wurde - heute zählt er zu den begehrtesten Terminen der Wellness-Saison. Zwangsweise schließen wegen fehlender Energie - wir wollen hoffen, dass Ihnen und allen erfolgreichen Gastgebern in unserem Land dies erspart bleibt.

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