Diagnosenparität

Gast Author / 20.06 2015

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Gastblog von Dr. Volker Soyez* zum Wettbewerbsrecht

* Dr. Volker Soyez leitet das Brüsseler Büro der Anwaltskanzlei . Seine Beratungsschwerpunkte sind die klassischen „Brüsseler“ Themen, wie EU Kartellrecht, Beihilfenrecht oder auch das Recht der EU Waren- und Dienstleistungsfreiheit.

 

Die Hotelbuchungsportalfälle sind von den Wettbewerbsbehörden in Frankreich, Italien und Schweden anders beurteilt und gelöst worden als in Deutschland.

Das Bundeskartellamt hatte im Verfahren gegen HRS festgestellt, dass die Paritäts- und insbesondere die Best-Preis-Klauseln den Wettbewerb massiv beschränken und das Vorbringen von HRS zurückgewiesen, diese Wettbewerbsbeschränkungen seien durch angebliche Effizienzvorteile gerechtfertigt. Zudem hat das Bundeskartellamt auch eine Selbstverpflichtung (so genannte Verpflichtungszusage) von HRS abgelehnt, die Paritätsklauseln nur noch in abgeschwächter Form verwenden zu wollen. In der Konsequenz hat das Bundeskartellamt im Dezember 2013 eine Abstellungsverfügung erlassen und HRS aufgegeben, die Best-Preis-Klauseln aus seinen AGB zu löschen. Es ist höchstwahrscheinlich, dass auch das noch laufende Kartellverfahren gegen Booking.com einen entsprechenden Verfahrensausgang nehmen wird - womöglich sogar flankiert durch einen Zahlungsbescheid, mit dem das Bundeskartellamt den aus dem Kartellverstoß resultierenden Mehrerlös von Booking.com abschöpfen wird.

Die Wettbewerbsbehörden in Frankreich, Italien und Schweden haben hingegen einen anderen Weg eingeschlagen. Bei nahezu identischen Sachverhalten vertraten sie den Standpunkt, die Paritätsklauseln seien - wenigstens in Form der so genannten „engen Parität“, die es den Hotels verbietet, günstigere Preise auf der eigenen Internetseite anzubieten - gar nicht so schlimm und jedenfalls zur Vermeidung eines angeblichen „Trittbrettfahrerproblems“ gerechtfertigt. Es sei - so wurde es den Kartellbehörden von Booking.com souffliert - unzumutbar, dass die Hotels über die Online-Buchungsplattformen werben könnten, sodann aber die Möglichkeit hätten, die Kunden über günstigere Preise auf ihrer eigenen Internetsete zu Direktbuchungen zu bewegen, wodurch die OTAs um ihre (saftigen) Provisionen gebracht würden. Auf dieser Grundlage haben die Wettbewerbsbehörden in Frankreich, Italien und Schweden die von Booking.com angebotenen Verpflichtungszusagen angenommen, die Kartellermittlungsverfahren damit einvernehmlich beendet und Booking.com die Beibehaltung einer leicht (und faktisch unerheblich) modifizierten Bestpreisklausel zugestanden.

Ergebnis: Hotels in Frankreich, Italien und Schweden werden auch in Zukunft auf ihren eigenen Internetseiten keine günstigeren Raten anbieten dürfen, als auf den Buchungsplattformen. Die Anwendung des - grundsätzlich gleichermaßen in allen EU-Mitgliedstaaten geltenden - EU-Kartellrechts durch die mitgliedstaatlichen Kartellbehörden hat also tatsächlich zu widersprüchlichen Entscheidungen geführt. Internationale Hotelunternehmen werden künftig ihre Vertriebsstrategien an den unterschiedlichen nationalen Rechtsrealitäten ausrichten müssen. Dies gilt natürlich auch für die OTAs, die durch die Divergenzen in der Entscheidungspraxis der verschiedenen Kartellbehörden ebenfalls daran gehindert sind, europaweit einheitliche Geschäftskonzepte zu entwickeln und anzuwenden.

Die Ursache dieses - von der EU-Kommission sowie von den OTAs als unerträglich betrachteten - Zustands hatte EU-Wettbewerbskommissarin Margareta Vestager jüngst in einem exklusiven MLex-Interview ausgemacht: Die EU-Kommission hätte nicht früh genug und nicht intensiv genug interveniert. Anstatt sich auf eine passive Hintergrundrolle zu beschränken und den nationalen Kartellbehörden die Federführung zu überlassen, hätte die EU-Kommission frühzeitig die Zügel an sich ziehen und damit einen EU-weit einheitlichen Verfahrensausgang in den Hotelbuchungsportalfällen sicherstellen sollen. „Zu wenig Brüssel“ sei also Kern des Problems gewesen.

Mit dieser Diagnose liegt EU-Wettbewerbskommissarin Vestager indes falsch.  

Zunächst einmal ist die zu beobachtende Entscheidungsdivergenz in den EU-Mitgliedstaaten aus juristischer Sicht keineswegs überraschend, geschweige denn problematisch. Ganz im Gegenteil: Die EU-Kartellverfahrensordnung sieht eine dezentrale Anwendung des EU-Kartellrechts durch die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte vor. Zwar sind in der EU-Kartellverfahrensordnung Mechanismen vorgesehen, um Friktionen bei der Anwendung des EU-Kartellrechts auf denselben Fall durch die EU-Kommission einerseits, sowie durch mitgliedstaatliche Behörden und Gerichte andererseits zu vermeiden.

Für die parallele Anwendung des EU-Kartellrechts in ähnlich gelagerten Fällen durch Behörden und Gerichte in verschiedenen Mitgliedstaaten existieren solche Mechanismen indes nicht. Der europäische Gesetzgeber hat hierdurch ganz bewusst die Entscheidungsautonomie der nationalen Kartellbehörden und Gerichte höher eingeordnet, als eine lückenlos einheitliche Entscheidungspraxis. Dass es zu unterschiedlichen Entscheidungen in den Hotelbuchungsportalfällen gekommen ist, ist damit kein juristischer Lapsus, den es für die Zukunft zu verhindern gelten würde, sondern schlicht und ergreifend eine bewusst in Kauf genommene Konsequenz der Tatsache, dass die nationalen Kartellbehörden und Gerichte nicht lediglich als Erfüllungsgehilfen der EU-Kommission betrachtet werden, sondern ihnen autonome Rechtsanwendung zugestanden wird.

Dies ist auch richtig und rechtens: Die Entscheidungsautonomie der mitgliedstaatlichen Kartellbehörden und die Gewährleistung der Gewaltenteilung durch von der EU-Kommission unabhängige nationale Gerichte darf nicht dem rein kommerziellen Interesse an einem einheitlichen europäischen Rechtsrahmen untergeordnet werden.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine Kritik an der Art und Weise gäbe, wie die EU-Kartellverfahren gegen die OTAs geführt wurden. Ganz im Gegenteil: Analysiert man die tatsächlichen Ursachen für die Entscheidungsdivergenzen, so liegt die Vermutung sehr nahe, dass eine einheitliche Entscheidungspraxis durchaus möglich gewesen wäre, wenn nur die Kartellbehörden in Frankreich, Italien und Schweden ihre Ermittlungsverfahren mit der gleichen Intensität, Gewissenhaftigkeit und Akribie wie ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen geführt hätten.

Die Entscheidung des Bundeskartellamts beruhte auf jahrelangen, intensiven und umfassenden Ermittlungen und einer minutiösen Anwendung der kartellrechtlichen Verbote auf den Einzelfall, die im Übrigen vom Oberlandesgericht Düsseldorf umfassend bestätigt wurde. Die Verfahren in den drei anderen Ländern waren hingegen von vorneherein auf eine möglichst schnelle und ressourcensparende Verfahrensbeendigung ausgelegt. Teils wurde bereits vor Verfahrensbeginn von der Behördenleitung verkündet, dass man Best-Preis-Klauseln eher positiv gegenüberstehe und das Verfahren schien nur noch dem Zweck zu dienen, dieses vorweggenommene Ergebnis zu bestätigen. Anstatt gezielt zu ermitteln, wurden „Market Tests“ durchgeführt, im Rahmen derer „interessierte Marktteilnehmer“ kurzfristig und öffentlich aufgefordert wurden, ihre Meinungen kundzutun, ohne abschätzen zu können, wer sich überhaupt an diesen Umfragen beteiligen würde und ohne die von Booking.com angebotenen Verpflichtungszusagen vollständig zugänglich zu machen. Und schließlich wurden die Ergebnisse dieser „Market Tests“, die fast unisono gegen eine Annahme der Verpflichtungszusagen ausfielen und damit offensichtlich nicht ins Konzept zu fallen schienen, schlicht ignoriert.

 


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