Blocking.com

Markus Luthe / 23.02 2021

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Blogpost von Markus Luthe zur Online-Distribution

American Football
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Während die Hotellerie weiter händeringend auf die Auszahlung der Novemberhilfen für die Auszahlung der Februarlöhne wartet und von bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag reichenden Stufenplänen für den Re-Start schockiert wird, bauen die Hotelportale unterhalb des Branchenradars ihre dominierende Marktposition munter aus, allen voran Booking.com.

Zwar entließ Booking.com zu Beginn der Corona-Krise noch ein Viertel der Mitarbeiter und nahm niederländische Staatsunterstützung in Höhe von 61 Mio. Euro an, doch zwischenzeitlich schreibt der unangefochtene Primus unter den Portalen längst wieder tiefschwarze Zahlen. Nach einem Verlust von 699 Mio. Euro im 1. Quartal 2020 betrug der Gewinn der Booking Holdings im 2. Quartal bereits wieder 122 Mio. Euro und stieg im 3. Quartal 2020 auf erstaunliche 801 Mio. Euro. Davon können die in den tiefroten Zahlen steckenden Hotels noch lange nur träumen. Auch der Aktienkurs der Amsterdamer liegt nach einer nur kleinen Delle Anfang 2020 zwischenzeitlich wieder auf All-Time-High-Level.

Das wirft viele Fragen auf und verdient sicher einen genaueren Blick auf das (Fehl-) Verhalten des Marktführers unter den Buchungsportalen gerade in der Corona-Krise. Denn nach dem ersten Corona-Schock agierte das marktbeherrschende Buchungsportal zunehmend rücksichtslos, kurzsichtig und nur auf den eigenen Vorteil bedacht.

So überdehnte Booking.com ausgerechnet zu Beginn der Corona-Krise bei weitem die Grenzen seines Vermittlerstatus gegenüber den Hotelpartnern und rief einseitig Fälle „höherer Gewalt“ aus und griff eigenmächtig zu Lasten der Hotels in die Kundenbeziehungen ein. Nicht-stornierbare Raten wurden plötzlich vom Mittler (!) als „stornierbar“ deklariert und das Aktivierungsdatum für ausstehende virtuelle Kreditkartenzahlungen auf nur noch einen Tag nach Anreise geändert, was sich fatal auf die Liquidität der Hotels auswirkte.

Und diese Linie des „Who cares?“ setzt das Portal bis zum heutigen Tag fort. So berichtete mir aktuell ein norddeutsches Hotel von einer Doppelzimmerbuchung via Booking.com, zu der das Hotel den Gast im Voraus wiederholt noch um einen Nachweis der geschäftlichen Veranlassung des Aufenthalts bat, so wie es die geltende Verordnungslage erfordert. Aus vermutlich gutem Grund, denn der Gast hatte bereits zwei Wochen zuvor das Hotel an der „Nase herumgeführt“ und hatte zu einem familiären Zweck im Haus übernachtet. Das Hotel schilderte seiner Kundenbetreuerin bei Booking.com den Sachverhalt und bat vergeblich um Stornierung dieser Buchung, was zu diesem Zeitpunkt über das Extranet des Portals technisch nicht mehr möglich war. Weitere Versuche über die Hotline waren ebenso vergeblich wie die Bitte um Rücksprache mit einem Supervisor. Das Hotel solle doch den Gast einfach anreisen lassen und könne ihn dann ja noch immer des Hauses verweisen, falls er sich als Privatreisender entpuppe. In dem Fall erlaubte Booking.com dem Hotel dann sogar, kostenfrei über das Extranet die Buchung rückwirkend zu stornieren...

Wie systematisch Booking.com gerade in Corona-Zeiten versucht, seine marktbeherrschende Stellung um buchstäblich jeden Preis auszubauen, belegen aus meiner Sicht unseriöse bis geradezu übergriffige Mail-Aussendungen an die „Hotelpartner“ aus den vergangenen Wochen:

  1. Am 8. September 2020 fiel Booking.com nichts Besseres ein, als ausgerechnet in der Corona-Pandemie eine Rabattschlacht zu initiieren und Hoteliers gegen einen Preisnachlass von sage und schreibe 40 Prozent zu versprechen, sie für bis zu 48 Stunden direkt an die Spitze der Suchergebnisse zu hieven...

  2. Mit der „Sponsored Benefit-Masche“ versprach Booking.com am 19. Januar 2021 den Hotels mehr Buchungen bei attraktiven Preisen ohne zusätzliche Kosten für das Hotel. Was gut klingt, hat einen mächtigen Haken: Denn tatsächlich gewährt das Portal dann dem Buchenden aus seinen Provisionseinnahmen heraus einen Preisnachlass im Namen des Hotels, wodurch das Hotel nicht nur die Preishoheit über sein Produkt aufgibt, sondern sich zudem auch seine Preisglaubwürdigkeit im Direktvertrieb gleich mitruiniert.

  3. „Wenn die Nachfrage auf unserer Plattform wieder zu steigen beginnt, erwarten wir, dass die erste Welle von Reisenden aus dem Inland kommen wird. Das Hinzufügen eines Inlandspreises kann Ihnen und Ihrer Unterkunft helfen, Kunden aus Ihrem eigenen Land anzuziehen“, ließ Booking.com seine Hotelpartner am 28. Dezember 2020 wissen und lud sie ein, „lokale Buchungen mit einem Inlandspreis freizuschalten“. Und führt sie damit in fatale Versuchung! Denn das Anbieten von Inlandspreisen wäre ein eklatanter Verstoß gegen die europäische Verordnung gegen ungerechtfertigtes Geoblocking [(EU) 2018/302].

Mutiert Booking.com etwa zu einem Blocking.com?


3 Kommentare
Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

luthe@hotellerie.de
3 Bemerkungen :

24/02/2021 09:13 von Sabine Möller / CPH Hotels

Wie immer auf den Punkt! An der Stelle kann gar nicht oft und konkret genug aufgeklärt werden!!! DANKE!

24/02/2021 10:35 von Matthias Hahn

Erst gestern wurde unserem Hotel das "Programm Risikofreie Buchungen" seitens Booking übergestülpt und uns dies in der Nacht durch eine Mail und Extranetmitteilung bekanntgegeben. Das Programm wurde ohne vorherige Information aktiviert und konnte nicht wie in der Mail beschrieben abgestellt werden.


Für Kollegen, die nicht suchen möchten: Die Deaktivierung erfolgt nicht wie von Booking in der Email angegeben über die Seite Unterkunft/Richtlinien, sondern über die Optimierungsmöglichkeiten im Extranet.


Booking bietet das Programm nicht täglich, sondern nur für bestimmte Zeiträume an. Um die Zimmer erneut zu offerieren, behält sich Booking vor, einen Rabatt zu verwenden, der von Booking übernommen wird. Das Rosinenpicken fängt an, wenn lediglich Saisonzeiträume genutzt werden und in die Preisfindung des Hotels eingegriffen wird, da mit einem Rabatt gegebenenfalls der Direktvertrieb geschwächt wird. Booking - immer wieder Überraschungen.

24/02/2021 11:33 von Niels. Bosley

Das einseitige Anpassen der Geschäftsbedingungen, je nach Gusto, gehört hier mittlerweile zum Standard. Von Partnerschaft kann man definitiv nicht reden. Wenn der Hotelier nicht spurt, wird einfach sein Haus auf der Plattform gesperrt. Wenn es ohne gehen würde, hätten wir den Vertrag bereits gekündigt.

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