Binnenwahrheiten
Blog von Markus Luthe zur Mehrwertsteuerdebatte vom 1. Februar 2011
Die leidige Mehrwertsteuerdiskussion wird der Hotellerie wohl auch im Jahr 2011 nicht erspart bleiben, auch wenn mittlerweile erste empirische Belege für die Wirksamkeit dieser wirtschaftspolitischen Maßnahme vorliegen. So stellte jüngst die Hochschule für angewandte Wissenschaften in Salzgitter allein für das Untersuchungsgebiet Niedersachsen durch die Mehrwertsteuersenkung induzierte Mehrinvestitionen in Höhe von 420 Millionen Euro, um 6 % gesunkene Zimmerpreise und Gehaltserhöhungen fest. Die Bundesagentur für Arbeit ermittelte am 20. Januar 2011 für die Hotellerie im – eigentlich noch gar nicht wirklich aussagekräftigen – ersten Halbjahr 2010 eine Steigerung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Hotellerie um 1,7 %, während die Zahl für die Gesamtwirtschaft trotz konjunkturellen Aufschwungs nur um 1,2 % zunahm.
Die sieben Landtagswahlen in diesem Jahr könnten dennoch dafür sorgen, dass mit viel Halbwissen und Polemik die Mehrwertsteuerreduzierung für die Hotellerie auch weiter für parteipolitische Attacken herhalten muss. Zu einer Versachlichung der Diskussion könnte die von der Regierungskoalition eingesetzte Expertenkommission zur Überprüfung des Mehrwertsteuersystems beitragen, der die Bundesminister Wolfgang Schäuble (CDU), Rainer Brüderle (FDP), Ronald Pofalla (CDU) sowie die Generalsekretäre Alexander Dobrindt (CSU), Hermann Gröhe (CDU) und Christian Lindner (FDP) angehören werden. Einfach wird deren Aufgabe aber sicherlich nicht.
Vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem unabhängigen Beratergremium der Bundesregierung, ist jedenfalls, wie schon in dessen Jahresgutachten 2009 und 2010 angelegt, wenig politisch Verwertbares zu erwarten. Die einseitige Industriefixierung der Wirtschaftsweisen habe ich schon in früheren Blogbeiträgen kritisiert. Der Sachverständigenrat schlägt die Streichung aller Ausnahmetatbestände und die Absenkung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes auf 16,5 % vor – abweichendes Minderheitsvotum natürlich inklusive.
Ein besonderes Kuckucksei aber hat Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) seinem Amtsnachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) noch ins Nest gelegt. Er gab ein Forschungsgutachten bei der Universität des Saarlandes in Zusammenarbeit mit der Universität Erlangen-Nürnberg in Auftrag zum Thema „Analyse und Bewertung der Strukturen von Regel- und ermäßigten Sätzen bei der Umsatzbesteuerung unter sozial-, wirtschafts-, steuer- und haushaltspolitischen Gesichtspunkten“. Zuerst versuchte Bundesfinanzminister Schäuble noch die Annahme des Gutachtens aus guten Gründen glatt zu verweigern, dann musste er das 460-Seiten mächtige Konvolut am 23. September 2010 doch auf der Homepage des Ministeriums veröffentlichen.
Aber nicht nur der Titel des Forschungsgutachtens der Professoren Ashok Kaul, Roland Ismer und Wolfram Reiß ist sperrig, der Inhalt ist es auch. Ausführlich legen die Professoren auftragsgemäß dar, dass eine Rechtfertigung der Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen „nicht ansatzweise ersichtlich“ sei. Es sei nicht einmal ein „legitimes besonders wichtiges Förderungsziel“ erkennbar.
Ihr Blickwinkel ist dabei ganz auf Deutschland fixiert und somit kommt bei so viel Forschungseinsatz auch bestenfalls eine „Binnenwahrheit“ heraus. Sie blenden komplett die Internationalität der Branche, den europäischen Binnenmarkt, die offenen Grenzen, die dramatisch gesunkenen Informations-, Transaktions- und Mobilitätskosten der Hotelgäste und das besondere qualitative und quantitative Jobpotenzial der Branche aus ihren Überlegungen aus.
Belegbeispiele und Stilblüten gefällig? Bitte sehr:
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„Die Beherbergungsleistungen werden standortgebunden erbracht. Eine Wettbewerbssituation zwischen den Leistungsangeboten der Hoteliers besteht grundsätzlich nicht.“ (Seite 117).
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„Ein Arzt, der einen Kongress in Frankfurt besucht, wird sich allein wegen der möglichen Umsatzsteuerersparnis kein Hotel in Frankreich nehmen.“ (Seite 229)
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„Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Wettbewerb im Verhältnis zu Dänemark zu dessen Ungunsten verzerrt wird.“ (Seite 231)
Diese Argumentation ist so dürftig und peinlich, dass sie keiner weiteren Kommentierung bedarf und sich selbst disqualifiziert. Eigentlich sollte dieses Gutachten wegen eklatanter Verschwendung von Steuergeldern den Bundesrechnungshof auf den Plan rufen.
Im Grunde genommen brüskiert das Forschungsgutachten der Universität des Saarlandes aber auch alle anderen 23 EU-Staaten, die so wie jetzt auch Deutschland reduzierte Mehrwertsteuersätze auf Beherbergungsleistungen anwenden, sie seien ordnungspolitisch nicht sauber aufgestellt, würden volkswirtschaftlich betrachtet Ressourcen verschwenden und verhielten sich letztlich irrational.
Der Hotelverband Deutschland (IHA) hat deshalb den renommierten österreichischen Volkswirt Prof. Dr. Friedrich Schneider von der Universität Linz um eine Stellungnahme aus der Sicht eines Wissenschaftlers eines Landes, das seit nunmehr fast 40 Jahren einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für seine Hotellerie anwendet, gebeten. Prof. Schneider kommt bei seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass aufgrund des reduzierten Mehrwertsteuersatzes für Beherbergung in Deutschland
- ein gesamter zusätzlicher Umsatz von bis zu 2,19 Mrd. Euro,
- zusätzliche Mehrwertsteuereinnahmen von bis zu 315 Mio. Euro und
- positive Effekte auf Beschäftigung und Investitionen
Zentrale Voraussetzung hierfür ist aus seiner Sicht jedoch, dass die Wirtschaftspolitik auch dem Primat der Planungssicherheit ausreichend Rechnung trägt.
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