An den Haaren herbeigezogen?

Hotelführer

Markus Luthe / 10.01 2011

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Blog von Markus Luthe zur Rechtspflege vom 10. Januar 2011

Während Teile der deutschen Justiz bekanntlich noch im Webstadium 0.0 verharren, scheint sich felix iustitia Austriae schon mehrere Updates weiterentwickelt zu haben. So hat zumindest das Handelsgericht Wien in zwei aktuellen Urteilen (Az: 39Cg 75/10 und 10Cg 115/10) höchst innovativ entschieden, dass Gerichtsurteile auf Facebook bzw. YouTube veröffentlicht werden müssen. „IusTube“ also, auf nota bene Webseiten, die weder der Einflusssphäre des Klägers noch des Beklagten zuzurechnen sind. 

Quelle: www.youtube.com/user/Hoffmannalf

Aber der Reihe nach: Ein Wiener Friseursalon hatte ein Werbevideo auf YouTube eingestellt und mit einem Konkurrenten-Tag versehen. Deshalb verwiesen Suchmaschinen bei der Suche nach dem Konkurrenzsalon auf den nun Beklagten. Hiergegen hatte der andere Friseursalon wegen Markenrechtsverletzung geklagt.

Später gerieten sich die beiden Friseure vor demselben Gericht in einer anderen Angelegenheit noch einmal in die Haare, denn der erneut verklagte Friseursalon betreibt bei Facebook eine Gruppe. Dort stellte er ein Bild ein, auf dem eine seiner Mitarbeiterinnen einen Reklamezettel des Konkurrenzsalons „an ihrem (bekleideten) Gesäß“ (Originalzitat aus den Akten) vorbeizieht. Auch hierfür wollte der Kläger dem Konkurrenten gerichtlich „den Kopf waschen“ lassen.

In beiden Verfahren beantragte der klagende Friseur unter anderem, dass obsiegende Urteile auf den jeweiligen Portalen eingestellt werden müssten – und fand die volle Unterstützung des hohen Gerichts. Für jeweils dreißig Tage mussten die Entscheidungstexte auf YouTube als scrollendes Video und auf Facebook in einem Fotoalbum mit dem Titel „Urteilsveröffentlichung“ gezeigt werden. Zwischenzeitlich sind die entsprechenden Seiten selbstverständlich (weil rechtskräftig) so „frisiert“ worden, dass keines der aktenkundigen Bilder und Videos mehr aufrufbar ist.

Rechtshistorisch führt die moderne Haarspalterei aber eher nach Frankreich als nach Österreich, denn der Rechtsgrundsatz „audiatur et altera pars“ ist eine Errungenschaft der französischen Revolution. Hieraus hat sich unser modernes Recht der Gegendarstellung entwickelt.

Nachdem diese Maxime anfänglich im verlegerischen Bereich angewandt und später ins Rundfunkrecht übertragen wurde, scheint es in Zeiten der Social Media nur konsequent, sie heute auch auf das Internet anzuwenden. Denn Urteilsveröffentlichungen - so der Anwalt des Klägers - sollen nach dem dem Talionsprinzip  die gleichen Personen erreichen, die auch die rechtswidrige Handlung wahrgenommen haben. So werden zukünftig vielleicht auch Urteile in Deutschland nach der Facon „Blog um Blog“ und „Post um Post“ zugeschnitten.


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Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

office@hotellerie.de
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