Fremdschämen

Markus Luthe / 11.05 2018

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Blogpost von Markus Luthe zur Online-Distribution

© ClipDealer
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In der Lobbyarbeit in Berlin und Brüssel schallt mir gelegentlich schon mal ein schulterzuckendes entgegen. Aber hätten Sie vermutet, dass auch die Online-Kaufleute der Buchungsportale von dieser argumentativen Zahlenschwäche befallen sein könnten? Doch dieser Eindruck drängt sich einem mit Blick auf eine Veröffentlichung des europäischen GDS- und OTA-Verbandes ETTSA aus der vergangenen Woche geradezu auf.

Eine von ETTSA finanzierte Studie der Londoner Analysefirma Infrata Ltd. zu Kosten der Hoteldistribution mündete in die Schlagzeile „Direktbuchungen sind nicht billiger für Hotels als Portalbuchungen“. Die Studie habe datengetrieben und faktenbasiert nachgewiesen, dass nur ein marginaler Unterschied von 0,03 % im Netto-Ergebnisbeitrag von Direktvertrieb (80,92 €) und dem indirekten Vertrieb über elektronische Mittelsmänner (80,94 €) bei einem durchschnittlichen Zimmererlös von 112,00 € bestehe. Auf den ersten Blick ist man ob solch akademischer Fleißarbeit und Aussagenpräsizision geneigt, einfach nur beeindruckt Wow zu sagen.

Doch dann beschleichen den gesunden Menschenverstand Zweifel: Können sich wirklich weltweit Abertausende von Hoteliers in einer solch wichtigen Frage systematisch und noch dazu so erheblich irren? Müssten die Hoteliers ihre eigenen Kostenstrukturen und individuellen Märkte nicht eigentlich besser kennen? Bislang bezifferte beispielsweise HEBS Digital die Kosten des Direktvertriebs der Hotels mit lediglich 4,5 %. Mein Eindruck ist, dass bei den online versierten deutschen Hotels die Kosten des Eigenvertriebs um mindestens ein Fünftel bis ein Drittel unter denen des günstigsten Fremdvertriebs liegen. Da wäre also noch mehr als reichlich Vorteilhaftigkeits-Luft nach oben zu den 15 % - 25 % Prozentpunkten Kommission, die Hoteliers für jede Buchung an die OTAs abdrücken müssen.

Ist die vermeintlich objektive ETTSA-Studie von Infrata Ltd. also unseriös? Max Starkov scheint dies jedenfalls so zu sehen und stuft die Auftragsarbeit als „Voodoo-Wissenschaft“ ein.

In der Tat offenbart die Untersuchung schon auf den zweiten Blick so gravierende systematische Mängel in den Annahmen, dass sich Zweifel an der Methodik und Ergebnisoffenheit der Infrata-Studie - und den ETTSA-Schlussfolgerungen daraus - geradezu aufdrängen.

Die Analysten von Triptease haben sich die kritischen Modellannahmen der Studie einmal genauer angesehen:

  1. Der Bericht basiert nicht nur fundamental auf der Behauptung der – vorsichtig ausgedrückt: äußerst umstrittenen – Existenz des sogenannten „Billboard-Effektes“, er überzeichnet diesen auch noch dramatisch. Infrata unterstellt, dass sage und schreibe 35 % aller Buchungen über die Webseiten der Markenhotellerie („Brand.com“) allein dem Billboard-Effekt geschuldet seien. Dabei ist dies die oberste Grenze der hierzu – und dann auch noch falsch – als Nachweis angeführten Bandbreite des Cornell-Berichtes von 5 – 35 % für die Größe des vermeintlichen Billboard-Effektes. Im Grunde genommen kann man an genau dieser Stelle bereits die Lektüre der ETTSA/Infrata-Studie einstellen und sich die restlichen Ableitungen aus diesem Annahme-Konstrukt als allesamt peinlich parteiisch schenken.
     
  2. Der Bericht blendet Marktdynamiken, wie Nachfrageveränderungen, gezielte Vertriebskanalsteuerungen durch Hotels oder langfristige Trends der Kunden- und Markensegmentierung, komplett aus. So ignoriert er komplett das Streben der meisten Hotels, einen ausgewogenen Mix der Vertriebskanäle zu wahren. Beim Setup der ETTSA-Studie wird beispielsweise davon ausgegangen, dass im Direktbuchungskanal der Hotels loyale und illoyale Kunden je hälftig vertreten sind. Diese Fifty-Fifty-Annahme fällt gleichsam vom Himmel, wird einfach gesetzt und weder abgeleitet noch belegt.
     
  3. Der Bericht suggeriert, dass sich die Vertriebskosten proportional zur Durchschnittsrate des Hotels entwickeln. In Wahrheit dürften die OTA-Kosten aber mit höheren Durchschnittspreisen stärker steigen als die Vertriebskosten über die Hotelwebsite. So wird der als europäische Durchschnittspreis gesetzte Betrag von 112,00 € zu einer sensitive Größe, ab der sich die vermeintliche Vorteilhaft des OTA-Vertriebs selbst im Infrata-Modell ins Gegenteil verkehrt.
     
  4. Nicht nur diese Schlussfolgerung dürfte somit aufgrund der Durchschnittsrate für eine Vielzahl von Hotels schon irrelevant sein. Viele Individualhoteliers dürften das gesamte Studiensetting schon als solches als für ihre Marktsituation irrelevant zurückweisen, da es eher für große Hotelketten denn für einzelne Hotels zutreffend zu sein scheint. So weist Frank Reeves von Avvivo in seinem Kommentar völlig richtig darauf hin, dass Franchisegebühren, CRS-Gebühren und Kundenbindungsprogramme usw. signifikanten Einfluss auf das Untersuchungsergebnis haben.

Und überhaupt: Ich halte es generell nicht für sachgerecht, die Fixkosten für die Herstellung der Buchungsbereitschaft über die eigene Website in ein solches Kostenvergleichsmodell einzubeziehen. Für mich sind diese Ausgaben eines Hotels unabdingbare Investitionen in die eigene unternehmerische Freiheit, um sich nicht in völlige Abhängigkeit von Intermediären und deren nach oben offenen Kommissionsspiralen zu begeben. Sie können deshalb nicht zur Disposition stehen und sind in diesem Kontext entscheidungsirrelevant und somit herauszurechnen.

Unter Würdigung dieser dürftigen wissenschaftlichen Basis der Infrata-Studie muss das Veröffentlichungs-Getöse von ETTSA dann nur noch diffamierend und mehr als befremdlich wirken: „Es scheint, dass der Hauptanreiz für Hoteliers, Direktbuchungen zu fördern, darin liegt, Transparenz und Vergleichbarkeit für Verbraucher zu reduzieren, und den Wettbewerb zwischen Hotels einzuschränken. ...


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Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

luthe@hotellerie.de
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