Wir oder wirr: Was entscheidet?

Markus Luthe / 19.06 2013

icon min Lesezeit

icon 0 Kommentare

Zurück

 

Blog von Markus Luthe zur Mehrwertsteuer

Es ist Donnerstag, 13. Dezember 2012, 9:48 Uhr Ortszeit im Deutschen Bundestag. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel erwidert die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat und gibt ausweislich des und des Video-Mitschnitts (gegen Ende der Rede) folgende Behauptung zum Vortrag:

 


 

„Schauen Sie sich doch einmal an, welche Folgen es hatte, dass die Kommunen ein paar Hundert Millionen Euro verloren haben, als Sie die Mehrwertsteuer zugunsten der Hoteliers gesenkt hatten.“ (Seite 26202)

 

Märchenstunde statt Aktueller Stunde im Parlament! Der SPD-Vorsitzende biegt in Sachen Mehrwertsteuer die Balken der amtlichen Statistik mächtig zugunsten des rot-grünen Lieblingswahlkampfthemas durch.

 

Denn in Wirklichkeit „verlieren“ alle Kommunen zusammen laut Bundestags-Drucksache 17/15 jährlich 19 Millionen Euro. Diese Ziffer liegt bedenklich weit unterhalb von „ein paar Hundert Millionen Euro“. Der SPD-Vorsitzende hätte es also nicht nur besser wissen können, sondern besser wissen müssen!

 

Ein halbes Jahr später erfolgt im Deutschen Bundestages der Lackmus-Test, ob die SPD beim Mehrwertsteuersatz zur Sachdebatte zurückkehren oder weiter polemisieren will. Am vergangenen Donnerstag, 13. Juni 2013, stand die Aussprache zum Tourismuspolitischen Bericht der Bundesregierung auf der Tagesordnung des Plenums. In der Vorlage der Bundesregierung heißt es auf Seite 13:

 

"Ziel der Mehrwertsteuersenkung für Beherbergungsleistungen zum 1. Januar 2010 war die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Hotelleriebranche im europäischen Vergleich und damit des Tourismusstandortes Deutschland. 22 von 27 EU-Staaten erheben den ermäßigten Steuersatz, darunter alle Nachbarstaaten Deutschlands mit Ausnahme von Dänemark. Die Mehrwertsteuersenkung hat positive Auswirkungen für Gäste, Mitarbeiter und das Handwerk, denn die Hoteliers investieren in Erweiterung oder Erhalt ihrer Häuser, in die Einstellung von Mitarbeitern und Auszubildenden sowie in Qualifikationsmaßnahmen ihrer Beschäftigten. Eine Auswertung der Saisonumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) 2009-2012 durch den Ostdeutschen Sparkassenverband zeigt einen deutlichen und nachhaltigen Anstieg der Investitionsbereitschaft im Gastgewerbe mit Einführung der ermäßigten Mehrwertsteuer. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wesentlich zu einem Investitionsschub in der deutschen Hotellerie beigetragen hat."

 

Die Auswahl der folgenden Debattenauszüge zur Mehrwertsteuersenkung empfehle ich Ihrer besonderen Aufmerksamkeit in Schrift, Bild und Ton:




 

Parlamentarischer Staatssekretär Ernst Burgbacher (FDP):
 

„Meine Damen und Herren, entgegen allen Unkenrufen hat sich die Senkung der Mehrwertsteuer für die Hotellerie als äußerst erfolgreiches Investitions- und Modernisierungsprogramm für die deutsche Hotelbranche erwiesen. In diesem Haus hört man immer Unkenrufe, draußen geben Vertreter aller Parteien zu: Das war ein Riesenerfolg.“ (Seite 31383)

 




 

MdB Hans-Joachim Hacker (SPD):
 

„Lieber Kollege Burgbacher, es reizt mich, hier auch noch ein Wort zur Steuerpolitik zu sagen. Sie loben die Absenkung der Mehrwertsteuer im Bereich der Hotellerie; dieses Loblied habe ich mehrfach gehört. Warum haben Sie sie eigentlich nicht auch für die Gastronomie gesenkt? Ihr Kollege Finanzminister musste ein sechsseitiges Papier schreiben, damit man Ihre Steuerregelung in der Branche überhaupt anwenden konnte.“ (Seite 31386)

 

 

 


MdB Horst Meierhofer (FDP):

„Auch das Thema Mehrwertsteuersenkung haben Sie kritisch angesprochen. Ihre Kollegen in Bayern sehen das anders. Sie wissen selber, dass die wie die Kollegen der Grünen und der Linken auf Bundesebene der Meinung sind, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ganz sinnvoll ist. (Seite 31391)

Ich muss daran erinnern, dass Sie in der letzten Legislaturperiode dafür gesorgt haben, dass die Umsätze aus dem Betrieb der Gondelbahnen einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen. Man darf sich die Frage stellen, ob das für diese riesige Branche angesichts des internationalen Wettbewerbs ein cleverer Schachzug war, wenn man bedenkt, dass in 24 von 27 Ländern ansonsten gleiche Bedingungen gelten. Genau das ist der Unterschied zur Gastwirtschaft.

Zwischenruf: Hans-Joachim Hacker [SPD]:
„Seit wann steht das „Adlon“ mit anderen Hotels im Wettbewerb! Das ist Unsinn!"

„Wenn Sie glauben, dass das ‚Adlon‘ der Durchschnitt unserer deutschen Hotels ist, muss ich Ihnen sagen: Der Durchschnitt sind mittelständische, kleine Betriebe, Familienbetriebe. Genau um die geht es. Die wollen wir fördern, und das ist uns auch sehr gut gelungen. Da ist auch der Großteil der Arbeitsplätze entstanden.“


 

 


MdB Klaus Brähmig (CDU):

„Lassen Sie mich noch ein Wort zur Infrastruktur sagen, wo in vielen Bereichen ebenfalls Nachholbedarf besteht und die weiter ausgebaut werden muss. Ich denke, gerade im Hinblick auf die Hotels konnte durch die Reduzierung des Mehrwert-steuersatzes eine Menge bewegt werden.“ (Seite 31393)

Zwischenruf Hans-Joachim Hacker [SPD]: „Das stimmt! Und in den Gaststätten!“

„Die Hotelbetreiber haben den finanziellen Spielraum genutzt, um notwendige Investitionen zu tätigen, das Personal weiterzubilden und neue Arbeitskräfte einzustellen. Vor wenigen Tagen war ich in meinem Wahlkreis unterwegs und musste feststellen, dass die in der gesamten Hotellerie und Gastronomie getätigten Investitionen, die gewissermaßen durch den reduzierten Mehrwertsteuersatz ermöglicht wurden, durch das Hochwasser leider zunichtegemacht worden sind. Zumindest ich will mich in der nächsten Legislaturperiode dafür einsetzen – das kann ich ja tun –, dass der reduzierte Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie erhalten bleibt, zumindest bis eine generelle Neuordnung der Verbrauchsteuern durch die Politik in Angriff genommen worden ist.“

 

Möchte der Tourismuspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion der Branche ernsthaft suggerieren, nach der Bundestagswahl im Herbst 2013 würden sich die Sozialdemokraten für den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Restaurants einsetzen? Wie glaubhaft ist denn das nach all dem Branchen-Bashing der letzten Jahre?

 

Welches Kalkül oder besser: welches Wählerbild offenbart sich denn hinter seinen Statements? Will uns die SPD allen Ernstes suggerieren, ihr Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der sich nota bene in seiner Amtszeit als Bundesfinanzminister noch vehement gegen den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Restaurants in Frankreich stemmte und damit sogar Spannungen auf Regierungsebene auslöste, wolle im Falle seiner Wahl einen Strategieschwenk bezüglich der Mehrwertsteuer vornehmen?

 

Das SPD-Regierungsprogramm 2013-2017 spricht jedenfalls eine gänzlich andere Sprache:

 

„Besondere steuerliche Privilegien für einzelne Interessengruppen, etwa Hoteliers und reiche Erben, die CDU/CSU und FDP in den vergangenen Jahren neu geschaffen haben, werden wir zurücknehmen.“

 

Für mich steht fest: Den Lackmustest hat die SPD nicht bestanden!

 

Wir oder wirr? Was entscheidet am 22. September?


0 Kommentare
Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

luthe@hotellerie.de
Sei der erste der kommentiert

Kommentar hinzufügen

×
Name ist erforderlich!
Geben Sie einen gültigen Namen ein
Gültige E-Mail ist erforderlich!
Gib eine gültige E-Mail Adresse ein
Kommentar ist erforderlich!

* Diese Felder sind erforderlich.

Weitere
18.09.2024 von Markus Luthe
Dutch Torpedo

Morgen entscheidet der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-264/23. Es geht um die Frage, ob die von Booking.com den Partnerhotels auferlegten Raten- und Konditionenparitätsklauseln mit den Vorgaben des europäischen Kartellrechts vereinbar sind. Nach einer elfjährigen Verfahrensdauer wird das Marktgebaren nun also einer abschließenden Klärung zugeführt werden.

19.08.2024 von Markus Luthe
Und täglich grüßt das Murmeltier

Ich habe ein Déjà vu: Momentan fragen zahlreiche Mitglieder an, ob Booking.com denn immer noch Ratenparität per Vertrag einfordern dürfe? Nein, dürfen die nicht. Definitiv nicht! Aber sie versuchen meines Erachtens dennoch immer wieder, den Gesetzgeber, die EU-Kommission, das Bundeskartellamt und den Bundesgerichtshof vorzuführen, indem sie Hoteliers hierüber so verwirren und einschüchtern, dass sie sich am Ende doch an die Ratenparität halten.

13.08.2024 von Markus Luthe
Erblast

Dieser Richterhammer ging gänzlich unerwartet auf die familiengeführte Hotellerie nieder: Das erst im Juli veröffentlichte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28. Februar 2024 zur erbschaftsteuerrechtlichen Einordnung des Generationenübergangs eines Parkhauses befasst sich weder in den Leitsätzen noch im Tenor mit Beherbergungsbetrieben, doch genau die haben nun einen massiven Erbfolgeschaden.