Sirenengesang

Markus Luthe / 02.02 2015

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Die Sirenen-Vase; 
© The Trustees of the British Museum
Die Sirenen-Vase; © The Trustees of the British Museum

 

Blog von Markus Luthe zu Buchungsportalen

Obwohl der der griechischen Mythologie entlehnte Titel es nahelegen könnte, handelt dieser Blog nicht vom drohenden Grexit oder philosophischen Sinnfragen des All-Inclusive-Urlaubs. Vielmehr möchte ich moderner Legendenbildung aus der sagenhaften Welt der Ratenparitäten entgegenwirken.

Nachdem das Oberlandesgericht Düsseldorf die Klage von HRS gegen die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes vom 20.12.2013 zu den Meistbegünstigungsklauseln des Buchungsportals vollumfänglich abgewiesen hatte, setzten postwendend Protestchöre ein, man könne doch nicht ausgerechnet dem deutschen Anbieter verwehren, was den amerikanischen Marktführern (noch) gestattet sei.

Da sicher nicht jeder der Kritiker zuvor die 43 Seiten der Entscheidung im Detail zur Kenntnis genommen haben wird, empfehle ich den hier verlinkten Beschluss [VI Kart 1/14 (V)]  ausdrücklich der sorgfältigen Lektüre. Es lässt keinerlei Platz für Verschwörungstheorien. Mit zweien, um das Verfahren gerankten Mythen möchte ich aber noch insbesondere aufräumen:

Mythos 1:

Das OLG Düsseldorf selbst habe im Laufe des Verfahrens Zweifel an der Wettbewerbswidrigkeit der Paritätsforderungen von HRS gehabt und deshalb gleich zwei mündliche Anhörungen angesetzt.

In Wahrheit muss nach nur wenigen Minuten der ersten mündlichen Verhandlung vor dem 1. Kartellsenat des OLG Düsseldorf am 26. November 2014 allen Beteiligten die Haltung des Gerichts zur Rechtsnatur der Meistbegünstigungsklauseln bereits klar gewesen sein: Sie beschränken massiv den Wettbewerb und ihre Vereinbarkeit mit den kartellrechtlichen Verboten ist höchst fraglich.

Dies erkennend wollte HRS seine davonschwimmenden Felle noch irgendwie retten und präsentierte zur Überraschung aller Prozessbeobachter seine eigenen Marktanteilsangaben. Bis dahin war stets Geheimniskrämerei die oberste Devise und fast jedwede Unternehmenskennzahl zum Geschäftsgeheimnis deklariert und geschwärzt worden. Nun aber ließ HRS in der öffentlichen Verhandlung – und somit breche ich hier auch keinerlei Vertraulichkeit – erklären, die HRS-Unternehmensgruppe habe in den letzten Jahren so erhebliche Marktanteilseinbußen hinnehmen müssen, dass sie aktuell unter 30 % läge: Im Jahr 2009 habe der Marktanteil von HRS noch 45,0 % betragen, während er im für die Kartellamtsverfügung entscheidenden Jahr 2013 – trotz der zwischenzeitlich erfolgten Übernahme von Hotel.de – nur noch 30,56 % betragen habe. Daraufhin vertagten die Richter die mündliche Verhandlung auf den 10. Dezember 2014 und ließen das Bundeskartellamt die Umsatzzahlen auch der Wettbewerber mit Unterstützung richterlicher Anordnungen noch einmal genau nachermitteln. Ergebnis: Unter Würdigung entsprechender Sicherheitszuschläge wurde der Marktanteil von HRS für das Jahr 2013 geringfügig, aber für das Verfahren gänzlich unerheblich auf 30,33 % korrigiert.

In der zweiten mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2014 wollte HRS dann seinen Marktanteil noch um Umsätze mit Geschäftsreisenden bereinigt und nach unten korrigiert sehen. Letztlich gelang es HRS aber nicht, das Gericht von seiner Behauptung zu überzeugen, dass Hotelbuchungen von Geschäftsreisenden ein gänzlich verschiedenes Marktsegment darstellten. Auch zu diesem Gerichtstermin ließen die Richter zu keinem Zeitpunkt Zweifel daran aufkommen, dass Meistbegünstigungsklauseln wie die von HRS kartellrechtlich höchst problematisch sind.

Mythos 2:

Das Bundeskartellamt benachteilige HRS und lasse Booking.com und Expedia unfairerweise einen Wettbewerbsvorteil.

Mit ihren Verfahren gegen die Meistbegünstigungsklauseln von Online-Portalen betreten derzeit die Kartellbehörden in Europa juristisches Neuland. Dabei ist es aus Effizienzgründen absolut üblich, dass sich die Ermittlungen nicht gegen alle denkbaren Marktteilnehmer richten, sondern dass sich die Wettbewerbshüter im Rahmen ihres Aufgreifermessens in der Regel auf den jeweiligen Marktführer konzentrieren und nach Abschluss des Verfahrens gegen andere Beteiligte vorgehen. So hat es auch das Bundeskartellamt getan, als es im Jahr 2010 aus eigenem Antrieb Ermittlungen zu Ratenparitäten aufnahm und sich an den damals eindeutigen Marktführer HRS hielt. Dass dieser über den Zeitraum der – aus meiner Sicht übrigens sehr zügig geführten – Untersuchungen im Markt von der damaligen Nummer 2 Booking.com deutlich überflügelt wurde, wird HRS nicht ernsthaft für sich zur Entlastung reklamieren wollen.

Ich meine auch, dass HRS sich diese Fallhöhe selbst geschaffen hat, als das Unternehmen entgegen ersten Ankündigungen beschloss, die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes nicht hinzunehmen, sondern sich dagegen gerichtlich zu wehren. Das Presseecho auf die mehr als absehbare gerichtliche Niederlage war jedenfalls einhellig und verheerend.

Während die Klageerhebung von vornherein keinerlei aufschiebende Wirkung für das Verbot der Paritätsforderungen für HRS entfalten konnte, band sie auf der anderen Seite sicher erhebliche Ressourcen beim Bundeskartellamt und allen Beteiligten. Zum Schaden von HRS selbst – und der Hotellerie. Schließlich hatte der Hotelverband Deutschland (IHA) im Herbst 2013 seinerseits Beschwerde beim Bundeskartellamt gegen die Meistbegünstigungsklauseln von Booking.com und Expedia eingelegt, um genau solch verzerrenden Effekten vorzubeugen. Wir setzen nun darauf, dass das Bundeskartellamt wie es selbst angekündigt hat, die Verfahren gegen Booking.com und Expedia zügig fortsetzen kann.

Eigentlich hätten die juristischen Prozessbeobachter von Booking.com und Expedia schon nach der ersten mündlichen Verhandlung im HRS-Verfahren vor dem OLG Düsseldorf am 26. November 2014, ihren Mandanten sämtliche Compliance-Glocken läuten müssen: Beide wären gut beraten gewesen, sofort und unzweideutig die Anwendung jedweder Paritätsklauseln europaweit in ihren Verträgen außer Kraft zu setzen. Die sich abzeichnende Abweisung der Klage von HRS begründeten die Richter schließlich schon damals mit Verstößen gegen deutsches und europäisches Recht.

Es kam allerdings ganz anders: Booking.com ließ die Theatermaske, nach der die Einhaltung der Ratenparität im Interesse der Hotellerie selbst liegen würde, nun vollkommen fallen und schlug den ebenfalls ermittelnden Wettbewerbshütern in Frankreich, Italien und Schweden einen Deal vor, der für Verbraucher und Hoteliers gleichermaßen zum Scherbengericht würde. Booking.com will zwar formal zugestehen, dass der Hotelier bei HRS und Expedia möglicherweise niedrigere Raten einstellt, aber unter keinen Umständen zulassen, dass das Hotel selbst – weder online noch offline – einen günstigeren Zimmerpreis oder eine andere Zimmerverfügbarkeit anbietet als bei Booking.com.

Entlarvender und zugleich vergifteter kann ein kartellrechtlicher Köder kaum ausgelegt werden. Die Hotelverbände in Europa haben dieses Trojanische Pferd 2.0 als solches entlarvt und die Kartellbehörden in ihrer hier verlinkten Stellungnahme vor einem etwaigen Aufsatteln gewarnt.

 


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Geschrieben von
Markus Luthe
Dipl.-Volkswirt / Hauptgeschäftsführer
Hotelverband Deutschland (IHA)

luthe@hotellerie.de
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