Märchensteuer
Blogpost von Markus Luthe zur Mehrwertsteuerdebatte
In den vergangenen Wochen musste die deutsche Hotellerie gleich zwei parlamentarische Initiativen zur Erhöhung der Mehrwertsteuer überstehen: Am 25. Oktober 2012 lehnte der mit den Stimmen der christlich-liberalen Koalition einen Antrag der SPD-Fraktion zur Rücknahme des reduzierten Mehrwertsatzes auf Beherbergungsleistungen ab und auch der gleichgerichtete Vorstoß der Dänen-Ampel aus Schleswig-Holstein fand am 2. November 2012 im Bundesrat keine Mehrheit. Es werden nicht die letzten Attacken gewesen sein.
Sowohl die SPD als auch Bündnis 90 / Die Grünen werden keine Ruhe geben. Sie werden in ihren Programmen für die Bundestagswahl 2013 die Abschaffung der Mehrwertsteuerregelung im nationalen Alleingang fordern, die in derzeit 23 von 27 EU-Staaten – mit dem Beitritt Kroatiens im Laufe des nächsten Jahres sind es dann 24 von 28 Mitgliedsstaaten – ebenso erfolgreich wie selbstverständlich Anwendung findet. Die Linke scheint noch auf der Suche nach sich selbst zu sein, denn im Bundestag stimmte sie wohl aus einem Oppositionsreflex heraus für den SPD-Antrag, während sie sich laut eigenen Wahlprogramm von 2009 doch für den reduzierten Mehrwertsteuersatz in Hotellerie und Gastronomie einsetzen wollte. Angesichts dieser großen Koalition in der Opposition wird sich jedenfalls die dringend benötigte Investitionssicherheit für die Hotellerie kaum einstellen.
Frappierend für mich ist, wie dabei modernen Märchen gleich immer wieder mit inkorrektem, bestenfalls veraltetem Datenmaterial gearbeitet wird. SPD und Grüne kolportieren heute noch einen „Milliardenausfall für den Fiskus“, was durch einen Blick in die aktuellste Umsatzsteuerstatistik des Statistischen Bundesamtes schnell wiederlegt ist. Während in der offiziellen Gesetzesbegründung des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes aus dem Jahr 2009 für das Kassenjahr 2010 noch ein Einnahmeausfall von 805 Mio. Euro prognostiziert wurde, betrug der tatsächliche Einnahmeausfall für Bund, Länder und Kommunen tatsächlich zusammen 464 Mio. Euro.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel wird im AHGZ-Artikel „Bekloppte Mehrwertsteuer“ vom 30. November 2012 gar mit folgenden Worten wiedergegeben: „Die abgesenkte Mehrwertsteuer belaste die Kommunen mehr als den Bund, wodurch die Infrastruktur vor Ort zunehmend verkomme.“ Ebenso munter wie faktenfrei wird hier das Märchen einer vermeintlichen Rechtfertigung kommunaler Matratzen-Mauten weitergesponnen, denn von den Mehrwertsteuereinnahmen entfallen in Wirklichkeit 51,4 Prozent auf den Bund und nur 2,2 Prozent auf die Gemeinden.
Auch die Presse als Vierte Gewalt im Staat steuert wenig zu einer faktenbasierten Mehrwertsteuerdiskussion bei. Ich erinnere mich jedenfalls nicht, dass auch nur eine der großen deutschen Tageszeitung in den letzten drei Jahren die Informationen der nebenstehenden Übersichtskarte zu Mehrwertsteuersätzen der Hotellerie in Europa abgedruckt hätte. Dabei liegen die Fakten weit überkompensierender Investitions- und Beschäftigungseffekte längst auf dem Tisch.
Eine Ursache für die aus meiner Sicht fehlende Ausgewogenheit der Berichterstattung mag darin liegen, dass die Verlage in Sachen Mehrwertsteuer eine eigene Agenda verfolgen. Dies trat selten deutlicher zutage als im Lichte der aktuellen Zeitungskrise, in deren Folge z.B. Ende September die Abendzeitung Nürnberg nach 93 Jahren eingestellt wurde, die Frankfurter Rundschau vor gut zwei Wochen Insolvenz anmeldete und die Financial Times Deutschland am Freitag dieser Woche zum letzten Mal erscheinen wird.
So gab der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Helmut Heinen, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Die Mehrwertsteuer auf Zeitungen gehört abgeschafft“ ein bemerkenswertes Interview zum Selbstverständnis der Verlagsbranche. Darin führt er u.a. aus: „Wenn die Umsatzsteuer auf Vertriebserlöse wegfällt, wäre das ein inhaltlich weitgehend neutrales Thema. Zeitungen könnten auch als haushaltsnahe Dienstleistungen im Sinne des Einkommensteuerrechts gelten und damit bis zu einer gewissen Größenordnung von der Steuerschuld absetzbar sein. Wenn Sie einen Gärtner beschäftigen, können Sie vom Lohn eine gewisse Summe von der Steuerschuld abziehen. Die lohnintensive Zeitung ist sicher eine Dienstleistung, die auch haushaltsnah erbracht wird, auch wenn das im räumlichen Sinn nicht unbedingt stimmt. Wenn man den Zeitungen helfen will, ist eine steuerliche Erleichterung besser als Subventionen.“
Selten habe ich etwas ordnungspolitisch Konfuseres gelesen. Schlimmer aber noch ist die Einseitigkeit der Argumentation: Bei der Hotellerie geißelt die Presse den reduzierten Mehrsteuersatz als verfehlte Branchensubvention, als Milliardengeschenk; aber wenn die Verleger ihrerseits sogar die komplette Befreiung von der Mehrwertsteuer – den reduzierten Satz von 7 Prozent haben sie ja ohnehin schon – fordern, dann gilt das als „steuerliche Erleichterung“ und beileibe nicht als Subvention…
Zu ihrer Rechtfertigung verweisen die Zeitungsverleger auf die Notwendigkeit der Erhaltung von Qualitätsjournalismus in Zeiten des digitalen Medienumbruchs. Wohl wahr! Aber wer zu dieser Messlatte greift, muss den selbst gewählten Maßstab auch gegen sich selbst gelten lassen. Bei der Berichterstattung zum reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Beherbergungsleistungen dürfen hier jedenfalls Fragezeichen angemeldet werden. Beispiele aus der renommierten Wirtschaftspresse mögen dies belegen:
- Einen Tiefpunkt der Berichterstattung markiert sicher der Artikel „Die unheimliche Macht der Lobbyisten“ vom 20. September 2012 ausgerechnet im Handelsblatt. Die Wirtschaftszeitung skandalisiert allen Ernstes gleich zum Einstieg in den Artikel eine normale Parteimitgliedschaft (kein Amt, kein Mandat!) eines Verbandsvorsitzenden. Mein Demokratieverständnis sieht jedenfalls anders aus.
- Die Financial Times Deutschland hat Ende 2009 / Anfang 2010 – zumindest gefühlt – über Monate hinweg keine Ausgabe ausgeliefert, ohne Stimmung gegen den reduzierten Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie zu betreiben. Sie hat sich faktenreduziert geradezu als „Opinion Leader“ gegen die Mehrwertsteuerregelung positioniert. Dies verdient angesichts ihrer Einstellung zum Ende der Woche eine besondere Würdigung ("Give me Five") im nebenstehenden Kasten. Ganz im Stile der gleichnamigen FTD-Kolumne „Out of Office“, jeweils täglich auf der letzten Seite, gilt es die „beachtenswertesten“ FTD-Beiträge zum Thema in einer „Top-Five-Liste“ noch einmal rückblickend zu würdigen.
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