Digitalgipfel
Blogpost von Markus Luthe zur Europapolitik
Die Europapolitik hat im deutschen Bundestagswahlkampf keine Rolle gespielt. Hier hat nicht nur der Spitzenkandidat der Sozialdemokraten eine einmalige Profilierungschance leichtfertig liegen gelassen. In Zeiten historischer Umbrüche in Europa nimmt ausgerechnet Deutschland in der Zukunftsdebatte noch nicht die vorwärtsgerichtete Rolle an, die auch seine europäischen Nachbarn und Freunde von ihm erwarten, allen voran der pro-europäische französische Präsident . Dabei bedarf die Europäische Union gerade in Zeiten des grassierenden Separatismus und Populismus mehr denn je einer ordnungspolitischen Orientierung, Erdung und Neuausrichtung.
Einen krassen Beleg dafür liefert die verfehlte, weil weit über das Ziel hinausschießende Acrylamidverordnung. Der zuständige ENVI-Ausschuss des Europäischen Parlamentes wies gestern einen Ablehnungsbeschluss mit 44:10 Stimmen zurück. Die „Pommes Ampel“ wird demnächst also als neue „Brüsseler Spitzen“-Leistung in einem Atemzug mit der Gurkenkrümmungsverordnung und dem Olivenölkännchenverbot als Menetekel überbordender Regulierungswut genannt werden. Dem Image der Europäischen Institutionen ist das nicht zuträglich – ausgerechnet in Zeiten wie diesen!
Dass sie auch anders kann, beweist die Europäische Kommission auf dem Gebiet der Digitalisierung und erhält hierzu heute hoffentlich auf dem Digitalgipfel in Tallinn auch die Unterstützung der Mitgliedsstaaten. Lassen Sie mich beispielhaft Initiativen der EU-Kommission benennen, die negative Begleiterscheinungen der Plattformökonomie adressieren und bekämpfen, was für unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung von wirklich elementarer Bedeutung ist:
- Gestern legten die EU-Kommissare Andrus Ansip (Vizepräsident Digitaler Binnenmarkt), Vera Jourová (Justiz, Verbraucher und Gleichstellung) und Julian King (Sicherheit) europäische Orientierungshilfen und Grundsätze für Online-Plattformen vor, um illegale Online-Inhalte, die zu Hass, Gewalt und Terrorismus aufstacheln, proaktiv zu erkennen, zu verhindern und zu entfernen.
- Bereits im April wies EU-Kommissarin Vera Jourová (Justiz, Verbraucher und Gleichstellung) mit einer Untersuchung von 352 Preisvergleichs- und Reisebuchungsportalen nach, dass auf 235 von ihnen die Preisangaben nicht zuverlässig waren und leitete Gegenmaßnahmen ein.
- Auf der hochrangigen Konferenz zum Tourismus vorgestern in Brüssel unter der Leitung von Antonio Tajani, dem Präsidenten des Europäischen Parlamentes, kündigte EU-Kommissarin Mariya Gabriel (Digitale Wirtschaft und Gesellschaft) an, dass die Kommission Anfang 2018 einen Maßnahmenkatalog gegen unfaire B2B-Praktiken von Online-Plattformen vorlegen werde. Über unseren europäischen Dachverband HOTREC haben wir hierzu in den letzten Monaten selbstverständlich umfangreiches Material aus der bunten Welt der Hoteldistribution beigesteuert.
- Von besonderer Bedeutung sind auch die Vorstöße von EU-Kommissarin Margrethe Vestager (Wettbewerb) zur Steuerpflicht globaler Internetriesen wie Apple und gegen den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen wie im Falle von Google.
Das Verfahren der EU-Kommission gegen den Preisvergleichsdienst von Google ist übrigens ein hervorragender Beleg dafür, welch langen Atem und wieviel Rückendeckung die Kommission im Kampf gegen die Internet-Giganten benötigt. Im Juni verhängte die EU nach einigem Zögern und jahrelangen Ermittlungen gegen Googles Shopping-Suche eine Rekord-Wettbewerbsstrafe von 2,42 Milliarden Euro und setzte eine Frist bis zum 28. September, das beanstandete Verhalten abzustellen. Just in time gab Google gestern bekannt, dass die Websuche mit integrierter Produktsuche umgebaut werde. Nach Googles Vorstellungen solle das Geschäft mit Produktanzeigen in eine eigenständige Einheit, die aber Teil der Google-Muttergesellschaft Alphabet bleibe, ausgelagert werden. Die neue Firma solle dann mit Konkurrenten auf gleicher Basis um Anzeigenplätze bieten.
Der große Unterschied soll also sein, dass nicht mehr nur Google Shopping in diesen Ergebnissen auftaucht, sondern dass sich auch alle anderen Onlineshops dort einkaufen können. Das war zwar bisher auch schon möglich, aber stets nur über den Umweg von Google Shopping, das wiederum einen Preisvergleich ermöglichte. Für die Onlineshops selbst änderte sich also einiges, für den Endnutzer nicht wirklich etwas. Google Shopping würde in diesem neuen Karussell so wie jeder andere Onlineshop auch die eigenen Anzeigen kaufen und dafür Geld an die Suchmaschine Google zahlen.
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