Bye-Bye-Hilfen

Otto Lindner und Markus Luthe / 13.01 2021

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Blogpost von Otto Lindner und Markus Luthe zur Corona-Krise

Rettungsring_Reichstag
© IHA / M. Luthe

„Schnell, großzügig und unbürokratisch werden wir allen helfen!“ An diesem am 28. Oktober selbst formulierten Anspruch müssen sich die Bundesminister Altmaier und Scholz messen lassen.

Die vollmundig versprochenen Novemberhilfen sind auch Mitte Januar noch nicht bei den Betrieben angekommen und das Kleingedruckte der Förderrichtlinie ist klammheimlich nachjustiert und mittlerweile so kompliziert geworden, dass auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer nicht mehr durchblicken. Ende der elften Woche des neuerlichen Lockdowns ist die Verzweiflung und Wut in der Branche allenthalben zu greifen. Die Nerven liegen zunehmend blank und der Vertrauensschaden in staatliches Handeln ist massiv.

Hinzu kommen nun neben eher halsstarrigen Rechtfertigungsversuchen auch noch peinlich-schrille Zwischentöne des parteipolitischen „Schwarzen-Peter-Spielens“ im aufziehenden Wahlkampfmodus, die den Schaden nur vergrößern. Das hat die Branche, das hat Deutschland nicht verdient.

Tritt man einen Schritt von den tagesaktuellen Aufregungen zurück, wird man feststellen, dass der Ursprung des jetzt akuten Rettungsdilemmas gleich zu Beginn des ersten Lockdowns im März 2020 zu verankern ist. Anstatt wie von uns vehement gefordert, national eine saubere Entschädigungsregelungen für die betroffenen Branchen aufzusetzen, ist die Bundesregierung mit ihrer Bazooka-Politik sehenden Auges falsch in Richtung Wirtschaftsförderung abgebogen.

Sonst wäre übrigens auch das Bundesfinanzministerium und nicht das Bundeswirtschaftsministerium zuständig, es gälten keine willkürlichen Deckeleien, es könnten die etablierten Strukturen der Finanzämter greifen und es müsste für die Beantragung und Auszahlung von Hilfsgeldern nicht eine neue Software mit heißer Nadel zur Koordinierung von Bund und Ländern programmiert werden.

Alles Konjunktiv mittlerweile. Stattdessen hat sich die Bundesregierung seit März auf das hochkomplexe Terrain des Beihilferechts begeben, wo dann auch Brüssel ein ganz entscheidendes Wort mitzureden hat, damit keine Wettbewerbsverzerrungen im gemeinsamen Binnenmarkt entstehen. Nebenbei bemerkt: Was für ein abwegiger Gedanke in Pandemie-Zeiten!

Nur eine der vielen ebenso negativen wie negierten Konsequenzen hieraus ist, dass durch und durch mittelständische, familiengeführte Hotelgesellschaften als „verbundene Unternehmen“ bis heute fast komplett durch das Rettungs-Raster der Bundesregierung gerauscht sind. Und dem Lockruf, sich als vermeintlich „kritische Infrastruktur“ unter das Schutzdach des Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu flüchten, haben diese Unternehmen aus ihrem Selbstverständnis heraus widerstanden, denn wer will das Schicksal seines Familienunternehmens schon durch eine stille Beteiligung von staatlichen Händen gestalten lassen?

Für uns liegen Analogien zu Helmut Schmidt und seinem verfassungswidrigen Einsatz der Bundeswehr in der Hamburger Sturmflut von 1962 nahe: An den Taten zeigt sich, wer Krise (und Kanzler!) kann – nicht am Rückgriff auf peinliche Waffen-Rhetorik.

Jammern, Schimpfen und Rechthaberei helfen in der verfahrenen Situation aber nicht weiter. Was ist auf dem Gebiet der Wirtschaftshilfe jetzt ganz konkret zu tun, damit nicht noch mehr Existenzen und Jobs ebenso unverdient wie unnötig untergehen?

 

1. Verlustrücktrag

Die Möglichkeit zum steuerlichen Verlustrücktrag sollte auf mindestens drei Jahre ausgedehnt und das Rücktragsvolumen auf mindestens 20 Mio. Euro ausgedehnt werden. Keine andere Hilfsmaßnahme wirkt schneller, zielgenauer und leistungsgerechter.

 

2. EU-Beihilfegrenzen

Angesichts der Pandemie-Dauer muss die Grenze der Kleinbeihilfen unverzüglich von 800.000 Euro auf mindestens 5 Mio. Euro und die der Fixkostenhilfe („Temporary Framework“) von 3 Mio. Euro auf mindestens 10 Mio. Euro angehoben werden. Anders kann die Komplexität der Hilfsprogramme nicht mehr gehandelt werden.

 

3. KfW-Darlehen

Wie hat es nur einreißen können, dass zurückzuzahlende KfW-Kredite mit mehr als sechs Jahren Laufzeit beihilferechtlich mit dem vollen Nennbetrag verlorenen Zuschüssen gleichgestellt werden? Das widerspricht jedweder ökonomischen Vernunft. Zur Schadenbegrenzung sollten jetzt schnell neue KfW-Programme zur Ablösung bereits vergebener KfW-Kredite aufgelegt werden und/oder bestehende Rückzahlungsfristen per Änderungsnotifizierung modifiziert werden.

 

4. Novemberhilfe plus

Die „Novemberhilfe plus“ für Beträge bis zu 4 Mio. Euro wurde bereits am 20. November von der EU-Kommission genehmigt. Dennoch liegen Detailregelungen zur Ausgestaltung bisher noch nicht vor. Die Antragsstellung muss unbedingt noch im Januar ermöglicht werden.

 

5. Novemberhilfe extra

Die Verhandlungen der Bundesregierung mit der EU-Kommission zur Notifizierung des Antrags nach Art. 107 Abs. 2b) AEUV müssen zeitnah vorangetrieben und vor Monatsende zu einem positiven Abschluss gebracht werden. Wie politisch zugesichert, müssen alle Unternehmen, auch die größeren mit Hilfsansprüchen von mehr als 4 Mio. Euro, ihre außerordentliche Wirtschaftshilfe nun umgehend erhalten. Auch diesen Unternehmen müssen relevante Abschlagszahlungen gewährt werden.

 

6. Verbundene Unternehmen

Eine Korrektur der beihilferechtlichen Regelungen zu „verbundenen Unternehmen“ ist überfällig. Andernfalls werden ausgerechnet die größeren Arbeitgeber und Ausbildungsbetriebe sachwidrig diskriminiert und der Wettbewerb massiv verzerrt. Konsequent und sachgerecht ist es folglich, auf den Betrieb im Sinne von Arbeitsstätte abzustellen.

 

7. Überbrückungshilfe III

Die sich abzeichnende Überbrückungshilfe III stellt nicht sicher, dass die Unternehmen eine vollständige Erstattung ihrer Fixkosten erhalten und ihnen ein angemessener Ausgleich für die finanziellen Ausfälle gewährt wird. Zwar sollen große Unternehmen bis 500 Mio. Euro Umsatz antragsberechtigt sein, die monatliche Hilfe wird aber bei 500.000 Euro gedeckelt. Das kann den betroffenen Unternehmen zum Überleben nicht reichen.

 

8. Insolvenzantragspflicht

Aufgrund der verspäteten Auszahlung der November- und Dezemberhilfen ist es zwingend geboten, die bislang nur bis zum 31. Januar 2021 erfolgte Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu verlängern. Die Frist sollte bis zum 30. April verlängert werden. Schließlich wurde gestern von der Bundesregierung auch die Antragsfrist für die November- und Dezemberhilfe auf Ende April gesetzt.

 

Nur so können wir noch verhindern, dass für die deutsche Hotellerie die „Beihilfen“ nicht zu „Bye-Bye-Hilfen“ werden!


5 Kommentare
Geschrieben von
Otto Lindner und Markus Luthe
Vorsitzender/HGF
Hotelverband Deutschland (IHA)

office@hotellerie.de
5 Bemerkungen :

15/01/2021 16:26 von J. Dassau

Sehr geehrte Herren, Lindner und Luthe,


ich bin "nur" Angestellter als Hoteldirektor in einem privatgeführten Haus und unsere Unternehmensstruktur ist so ausgerichtet, dass ich die Hilfspaketanträge nicht stellen muss! Gott sei Dank, wie mir scheint. Ergo kenne ich mich nicht en Detail mit der Materie aus.



Erwähnen möchte ich, dass ich Ihren Kommentar für absolut korrekt halte und es mir zeigt, dass auch proaktiv Lösungsideen angeboten werden. Eigentlich wie immer, wenn ich etwas zur Pandemie aus unserer Branche lese. Leider nur viel zu wenig. Offensichtlich hat die Hotellerie und die Gastronomie keine Lobby, genauso wenig, wie die Kultur, die Messe- und Konzertveranstalter etc.


Ich hätte mich gefreut, wenn Ihr Kommentar, nicht nur die Verfahrensweisen für die Hilfen und deren Auszahlung kritisiert wird, sondern das eigentliche Versagen der Politiker, noch vor den Hilfsversprechen während des 2. Lockdowns!


Führende Virologen warnten bereits im März 2020, dass es im Herbst/Winter 20/21 wieder mehr Infektionen geben würde. Es gab aus unserer und anderen stark betroffenen Branchen mannigfache Ideen, wie man nachhaltig mit dem Virus leben könne, ohne in einen weiteren Lockdown gehen zu müssen und gleichzeitig das Pandemie- Geschehen so kontrollieren könnte, ohne dass die Krankenhäuser überlastet sind. Unsere Branche hat teilweise viel Geld für die funktionierenden Hygienekonzepte in die Hand genommen.


Die Überlegungen in zu sinnvollen Lösungen, das Prüfen, Umsetzen, Diskutieren von sinnvollen und schützenden Maßnahmen wurde aus meiner Sicht, des viel lesenden interessierten und engagierten Teil unserer Branche, nicht geführt.


Für mich persönlich ist dieses Versäumnis der Politik deutlich schlimmer, denn die Ideen und Techniken gab es und gibt es immer noch. Den Vorsprung aus dem Frühjahr 2020 wurde leichtfertig verspielt. Man könnte unsere Regierung mit Schalke 04 oder dem HSV vergleichen. Sehenden Auges ins Verderben.


Stellen Sie sich vor die verantwortlichen Politiker wären nicht realitätsfremd und würden den Dialog suchen und dann beschließen: Wir geben keine Finanzhilfen, weil alle schließen müssen, sondern wir subventionieren Lüftungssysteme für eine annähernd sichere Luftqualität fast ohne Bakterien und Viren? Nachhaltige, wirtschafsfördernde Maßnahmen, denn die Technik kommt u.a. aus Deutschland und würde allen Tagungshotels, Theatern u.a. touristischen Einrichtungen helfen ihr Geschäft aufrecht zu erhalten. Temperatur Scanner vor Eingängen etc.. Wir hätten vermutlich 50 solcher Maßnahmen im März 2020 anschieben und teilweise umsetzen können. Busreiseveranstalter würden kein Kurzarbeitergeld erhalten, sondern transferieren die Schüler zur Schule und zurück und erhalten dafür Geld vom Staat.


Mich würde es als Angestellter interessieren, warum die unterschiedlichen Verbände, die Medien und die Politik nicht in diese Richtung argumentieren? Und das weltweit. Der Virus war da, ist da und wird auch bei uns bleiben, wie der Grippevirus oder andere Viren. Kennen Sie die Gründe?


Sie haben die Kontakte, ggf. auch ein Stück weit die Lobby, um hier einen tieferen Einblick ins Ganze zu haben. Mich frustriert das Denken in Verboten, Lockdowns und das Jammern. Ich würde sehr gern aktiv in Lösungen denken und mitgestalten, weil ich unsere Branche und alle die dazu Gehörenden (Touristik, Messe, Airlines, Reisebüros, Kultur, Künstler) einfach für absolut systemrelevant halte. Unsere Branchen machen das Leben noch viel lebenswerter!!!


Wenn wir alle im Rahmen der gültigen Regeln (viele sind ja sinnvoll) aufstehen und den Politikern andere, nachhaltige Denkanstöße geben, dann muss da doch was gehen, oder?



Mit kollegialen Grüßen


Jörg Dassau

15/01/2021 18:34 von Michael

Respekt, fundiert und sachlich analysiert und argumentiert. Emotional fühlt man sich bestimmt aggressiver, verständlich für die Branche. Es ist so bitter, auf der einen Seite diejenigen in den öffentlichen Verwaltungsebenen, denen die Pandemie überhaupt nichts anhaben kann,.auf der anderen Seite diejenigen, denen die nackte Existenzangst Nerven raubt. Die einen kriegen pünktlich ihr Gehalt und gehen nach Hause ( oder klagen, dass sie nicht Zuhause arbeiten dürfen), die anderen sind im Zweifel ihr Leben lang in der Schufa.

16/01/2021 13:53 von Krischan Höltershinken

Kompliment an Sie beider Herr Otto Lindner und Herr Markus Luthe



Mit freundlichen Grüßen


Krischan Höltershinken


HÖDICON e.K.


gastro support und green cleaning


44141 Dortmund


We love what we do - all day long!

16/01/2021 16:12 von Olav Paarmann

Hallo Herr Luthe,


alles auf den Punkt richtig! Wir ehrlichen Kaufleute, Gastronomen und Hoteliers wollen keine Almosen oder uns bereichern, oder Förderung, sondern lediglich Entschädigung für unseren Beitrag gegen die Überlastung des Gesundheitssystems! Vielen vielen Dank 🙏 für Ihre Unterstützung



Mit freundlichen Grüßen



Olav Paarmann

18/01/2021 09:52 von Markus Luthe

Erste Reaktion des Bundeswirtschaftsministers bei der Überbrückungshilfe III:


Künftig müssen Unternehmen wegen der Corona-Pandemie im antragsberechtigten Monat einen Umsatzrückgang von mindestens 30 Prozent erlitten haben, ohne dass zwischen „von Schließung betroffenen Unternehmen“ und „sonstigen Unternehmen“ differenziert wird. Das hat keine Auswirkung auf die Unternehmen des Gastgewerbes.


Wichtiger ist, dass die monatlichen Hilfssummen angehoben werden sollen: Betriebe, die unmittelbar von Schließungen betroffen sind, sollen bis zu 1,5 Millionen Euro vom Bund bekommen, statt derzeit maximal 500.000. Alle anderen Betriebe könnten bis zu eine Million erhalten. Bislang ist dieser Betrag bei 200.000 Euro gedeckelt.


Zudem plane Altmaier, künftig größere Unternehmen in die Hilfen einzubeziehen: Statt bei 500 Millionen Euro Jahresumsatz könnte die Obergrenze künftig bei 750 Millionen Euro liegen.


Quelle: www.handelsblatt.com/politik/deutschland/pandemie-altmaier-plant-vereinfachung-der-corona-hilfen-fuer-firmen/26825476.html

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