Kartellverwaltungsverfahren gegen HRS: Veröffentlichung der Entscheidung vom 20.12.2013
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Das Bundeskartellamt hat die um Geschäftsgeheimnisse bereinigte Fassung seiner Abstellungsverfügung B 9 - 66/10 gegen die HRS-Hotel Reservation Service Robert Ragge GmbH vom 20. Dezember 2013 veröffentlicht.
Auf insgesamt 108 Seiten legen die Wettbewerbshüter wie vom Hotelverband Deutschland (IHA) erwartet dar, dass Meistbegünstigungsklauseln per se wettbewerbsbeschränkend sind und bieten detaillierten Einbick in die Marktstrukturen und Wirkmechanismen der Online-Distribution auf dem Hotelmarkt Deutschland.
Tenor
Die 9. Beschlussabteilung des Bundeskartellamtes hat nach Prüfung eines Verstoßes gegen § 1 GWB/Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 20 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 1, 2 Nr. 1 GWB gem § 32 Abs. 1 GWB am 20. Dezember 2013 Folgendes beschlossen:
- Es wird festgestellt, dass die Bestpreisklauseln, die zwischen der Beteiligten und ihren Hotelpartnern auf der Grundlage von Ziffer 5 a) bis d) und Ziffer 18 Buchstabe i) der seit dem 1. März 2012 geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder in inhaltlich entsprechenden Individualverträgen vereinbart wurden, soweit sie in Deutschland gelegene Hotels betreffen, kartellrechtswidrig sind.
- Der Beteiligten wird die weitere Durchführung der vorgenannten Klauseln untersagt, soweit sie in Deutschland gelegene Hotels betreffen.
- Der Beteiligten wird aufgegeben, die Bestpreisklauseln bis zum 1. März 2014 aus den Verträgen bzw. den diesen Verträgen zugrundeliegenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu entfernen, soweit sie in Deutschland gelegene Hotels betreffen.
- Dem Gebot in Ziffer 3 des Tenors wird bei Individualverträgen auch durch fristgemäße Änderungskündigungen zum nächstmöglichen Zeitpunkt genügt, selbst wenn diese erst nach Fristablauf wirksam werden.
Gründe
HRS-Hotel Reservation Service Robert Ragge GmbH, Köln (im Folgenden: „HRS“) verstößt durch die mit ihren Hotelpartnern vereinbarte Bestpreisklausel gegen geltendes Kartellrecht. Sachlich betroffen ist dabei der Markt für die Vermittlungsdienstleistungen der Hotelportale (Hotelportalmarkt), der in räumlicher Hinsicht deutschlandweit abzugrenzen ist. Auf diesem Markt bewirken die in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der HRS und in entsprechenden Individualverträgen enthaltenen Bestpreisklauseln eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung zwischen den Hotelportalen und zwischen den Hotels, so dass dahin stehen kann, ob diese auch bezweckt werden.
Angesichts eines Markanteils der HRS von jeweils über 30% in den letzten vier Jahren sind die Bestpreisklauseln nicht nach der Vertikal-GVO freigestellt, so dass ebenfalls offen bleiben kann, ob es sich bei ihnen nicht ohnehin um eine nicht freistellungsfähige Kernbeschränkung handeln könnte. Die Bestpreisklauseln erfüllen auch nicht die Voraussetzungen für eine Einzelfreistellung. Zudem stellt die Anwendung der Bestpreisklauseln durch HRS auch eine unbillige Behinderung der von ihr abhängigen kleinen und mittleren Hotelunternehmen dar.
Der zwischen einem Hotelunternehmen und HRS abgeschlossene Dienstleistungsvertrag sieht die Aufnahme der jeweiligen Hotels in das HRS-Hotelreservierungssystem vor. HRS kauft dabei nicht etwa Zimmerkontingente ein, sondern tritt als Vermittlerin auf und erhält für jede realisierte Einzelbuchung eine Grundkommission in Höhe von derzeit 15% auf den Übernachtungsendpreis vom Hotelunternehmen. Zwischen dem buchenden Hotelkunden und HRS kommt ein Vermittlungsvertrag zustande; das HRS-System ermöglicht dem Hotelkunden Direktbuchungen mit Sofortbestätigung zu den jeweils aktuellen Preisen. Dem Hotelkunden werden für die Vermittlungsleistung seitens HRS keine unmittelbaren Kosten in Rechnung gestellt, er zahlt vielmehr ausschließlich den ausgewiesenen Zimmerpreis an das ausgesuchte Hotel, in den die vom Hotel an HRS zu zahlende Grundkommission allerdings regelmäßig einkalkuliert ist.
Die in den Verträgen zwischen HRS (einschließlich ihrer Tochterunternehmen Tiscover und Hotel.de) und den Hotelunternehmen enthaltene Bestpreisklausel wurde zuletzt in der Fassung vom 1. März 2012 vereinbart; sie findet sich in den aktuellen Allgemeinen Geschäftsbedingungen und in Individualverträgen. Bestpreisklauseln mit weitgehend gleichem Inhalt sind jedoch schon seit 2006 Bestandteil der Verträge zwischen HRS und ihren Hotelpartnern weltweit. HRS hat noch bis Oktober 2013 die Einhaltung der Bestpreisklauseln systematisch überwacht und den Hotelunternehmen bei Nichteinhaltung – zuletzt nur noch in vereinzelten Fällen – spürbare Sanktionen angedroht und auch vollzogen (insbesondere Buchungssperren und Kündigungen).
Der sachlich betroffene Markt für die Vermittlungsdienstleistungen der Hotelportale (Hotelportalmarkt) stellt eine Form des Online-Vertriebs von Hotelzimmern dar, die nicht mit dem Offline-Vertrieb – beispielsweise über Reisebüros oder an der Hotelrezeption – austauschbar ist. Weil Hotelportale dem Hotelkunden die Funktionen „Suchen, Vergleichen und Buchen“ in einem für ihn komfortablen Dienstleistungspaket anbieten, gehören hoteleigene Webseiten und andere spezialisierte Portale nicht zum Hotelportalmarkt. Online-Reisebüros und Reiseveranstalterportale haben i.d.R. keine direkten vertraglichen Bindungen mit den Hotelunternehmen und sind daher auf einer anderen Marktstufe als Hotelportale tätig; dies gilt auch für Metasuchmaschinen, die im Gegensatz zu Hotelportalen nur einen Preisvergleich anbieten und die angeschlossenen Hotelportale (und z.T. große Hotels bzw. Hotelketten) mit den Endkunden verbinden.
Demgegenüber gehört das von HRS betreute Firmenkundengeschäft ebenso zum sachlich relevanten Markt wie das Privatkundengeschäft. Vom Privatkundengeschäft zu unterscheiden wäre allenfalls das Reisemanagement (Travel Management), das ein über den Hotelzimmervertrieb hinausgehendes umfassendes Dienstleistungspaket für Firmenkunden zum Gegenstand hat, von HRS jedoch gerade nicht betrieben wird.
Räumlich ist von einem deutschlandweiten Markt für Hotelportale auszugehen. Zwar handelt es sich bei den hier betroffenen Hotelportalen um Internetplattformen, die für beide Marktgegenseiten rein technisch weltweit zugänglich sind. Gleichwohl ist der Hotelportalmarkt weder ein weltweiter Markt noch ein europäischer Markt, weil die auf ihm tätigen Unternehmen unterschiedlich stark ausgeprägte wirtschaftliche Schwerpunkte und unterschiedliche Gebietspräsenz haben und inhaltlich sowie im Hinblick auf ihre Werbung auf nationale Märkte ausgerichtet sind.
Bei den Bestpreisvereinbarungen zwischen HRS und ihren Hotelpartnern handelt es sich um Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die geeignet sind, sich auf den zwischenstaatlichen Handel auszuwirken. Die Vereinbarungen fallen in den Anwendungsbereich des deutschen und des europäischen Kartellverbots. Entgegen stehen weder ein nach Ansicht der HRS bestehender Status der HRS als „echter Handelsvertreterin“ noch handelt es sich um bloße Nebenabreden zur Durchführung kartellrechtsneutraler Hauptverträge. Die Bestpreisklauseln bewirken jedenfalls eine Wettbewerbsbeschränkung, insbesondere schränken die Bestpreisklauseln den Wettbewerb zwischen den Hotelportalen und zwischen den Hotelunternehmen ein; ob auch von einer Bezweckung der Wettbewerbsbeschränkungen auszugehen ist, kann daher offen bleiben.
Die bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen sind auch spürbar. Den Hotelportalen wird der wirtschaftliche Anreiz genommen, den Hotels niedrigere Provisionen anzubieten oder sich durch neue Absatzstrategien dem Wettbewerb zu stellen, der Markteintritt neuer Wettbewerber wird erschwert. Die Möglichkeit der Hotels, auf verschiedenen Buchungsportalen und anderen Vertriebswegen Angebote zu unterschiedlichen Preisen und Konditionen zu unterbreiten, ist erheblich eingeschränkt. Die durch die HRS-Bestpreisklausel bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen werden durch die Bestpreisklauseln der beiden anderen großen in Deutschland tätigen Hotelportalunternehmen, Booking und Expedia, noch verstärkt.
Die Bestpreisklauseln der HRS sind nicht von der Anwendung des Kartellverbots freigestellt. Zwar handelt es sich bei den Bestpreisklauseln um vertikale Beschränkungen, die grundsätzlich unter die Privilegierung der Vertikal-GVO fallen können; dies gilt aber vorliegend deshalb nicht, weil der Marktanteil von HRS nicht nur im letzten Geschäftsjahr 2012, sondern seit mindestens vier Jahren über 30% lag. Damit kann auch offenbleiben, ob es sich bei den Bestpreisklauseln der HRS um Kernbeschränkungen im Sinne der Vertikal-GVO handelt, die ohnehin nicht freistellungsfähig wären.
Auch eine Einzelfreistellung der Bestpreisklauseln kommt vorliegend nicht in Betracht, weil die möglichen positiven Wirkungen der Bestpreisklausel die wettbewerbswidrigen nicht überwiegen. Denn die potenziellen Effizienzwirkungen der Bestpreisklausel zur Lösung eines etwaigen „Trittbrettfahrerproblems“ – soweit ein solches überhaupt existiert – sind allenfalls gering; die durch die Bestpreisklausel bewirkte Wettbewerbsbeschränkung ist jedenfalls nicht unerlässlich und führt nicht zu einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher. Offen gelassen wird daher, ob die Bestpreisklauseln zur Ausschaltung wesentlichen Wettbewerbs führen, wofür allerdings einiges spricht. Die Durchführung der Bestpreisklauseln stellt zudem eine unbillige Behinderung der von HRS abhängigen kleinen und mittleren Hotelpartner dar.
Vor diesem Hintergrund übt die Beschlussabteilung ihr Ermessen in der Weise aus, dass die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen ist. HRS wird als weitere Abhilfemaßnahme die Entfernung der Bestpreisklauseln aus den Verträgen und den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bis zum 1. März 2014 aufgegeben.
Hingegen kommt eine Verbindlicherklärung der von HRS zuletzt angebotenen, zeitlich befristeten Verpflichtungszusagen nicht in Betracht. Denn hierdurch würden die schwerwiegenden Bedenken der Beschlussabteilung in Bezug auf die Bestpreisklauseln nicht dauerhaft ausgeräumt. Zudem geht nur von einer ausdrücklichen Feststellung der Zuwiderhandlung – wie sie mit dem vorliegenden Beschluss erfolgt – die erforderliche Präzedenzwirkung im Hinblick auf andere einschlägige Fälle aus.
Schließlich stellt die vorliegende Abstellungsverfügung die wirksame und vollziehbare Vorgabe der Streichung der fraglichen Bestpreisklauseln im Interesse der Rechtssicherheit für alle Vertragspartner der HRS sicher. Auch ein von der Beschlussabteilung zunächst erwogener Entzug des Rechtsvorteils der einschlägigen Gruppenfreistellung scheidet auf Grundlage der vorliegenden aktuellen Ermittlungsergebnisse bis auf Weiteres aus, weil die Marktanteile von HRS auch nach den aktuellen Feststellungen der Beschlussabteilung noch über 30% liegen und HRS somit zumindest derzeit keine Privilegierung durch die Vertikal-GVO genießt.
[Redaktionelle Hervorhebung durch den Hotelverband Deutschland (IHA)]